Mit Familiengeschichten auf dem Weg zum Schriftsteller

Beim Projekt Klasse(n)buch lernen Schüler von Autoren. Am Fliedner entstand mit Gina Mayer ein Buch mit Geschichten über den 2. Weltkrieg.

Düsseldorf. Auf einen Schriftsteller lauert manch unerwartete Fußangel. Ein Schüler der 9a des Theodor-Fliedner-Gymnasiums hat das gemerkt, als er an einer Geschichte schrieb, die während des Zweiten Weltkriegs spielt. Nach einem Luftangriff ließ der junge Autor eine Figur einen Krankenwagen rufen — per Handy.

Die Episode stammt aus dem Workshop „Ich schreibe (eine) Geschichte“, zu dem die Düsseldorfer Schriftstellerin Gina Mayer für einige Tage an die Schule kam. Sie hat selber einen Roman geschrieben, der das Thema Vertreibung am Ende des Krieges behandelt und machte den zum Ausgangspunkt der Arbeit mit den Schülern.

Der Workshop gehört zum Projekt „Klasse(n)buch“, das seit 2009 an Düsseldorfer Schulen läuft (siehe Kasten). Die Idee: Schriftsteller aus der Stadt gehen in Schulklassen und machen mit den Schülern Literaturunterricht mit Praxisbezug.

Vorausgegangen war der Befund: Tanz, Bildende Kunst und Musik sind über Projekte zum Beispiel von Tanzhaus NRW oder Clara-Schumann-Musikschule schon gut in den Schulen vertreten. Mit der Literatur sah es bis dahin schlechter aus. Zudem ist kreatives Schreiben an den Schulen noch immer unterbelichtet.

Inzwischen waren Leute wie Gina Mayer, Pamela Granderath oder Reglindis Rauca an vielen Schulen in der Stadt und haben mit Kindern und Jugendlichen deren eigene Texte erarbeitet. Diese Woche stellte die 9a des Fliedner-Gymnasiums in Kaiserswerth das Ergebnis ihrer Arbeit im Literaturbüro vor: ein Büchlein mit 30 Kurzgeschichten.

Aus einer davon las Johann von der Schulenburg vor. Seine dramatische Geschichte „Eine Reise im Schatten des Krieges“ erzählt von zwei Jungen, die sich während des Kriegs auf eigene Faust von ihrem ländlichen Internat zu Verwandten nach München durchschlagen und dort in einen Bombenangriff geraten. Die Geschichte basiert auf Erlebnissen von Johanns Großvater vor fast 70 Jahren.

Das Erforschen der eigenen Familiengeschichte war ein wichtiger Teil des Seminars. Viele Schüler der Klasse hörten dabei zum ersten Mal von den Kriegserlebnissen ihrer Groß- und Urgroßeltern. Gina Mayer ist mit den Ergebnissen zufrieden: „Krieg, Holocaust und Vertreibung sind näher an den jungen Menschen als man vielleicht zunächst denkt.“ Allerdings müssten die Jugendlichen schon gründlich nachfragen, um den Geschichten auf den Grund zu kommen. Sie selber hat für ihre historischen Romane schon unterschiedliche Epochen erforscht.

Schüler Steffen Frye konnte auf Aufzeichnungen seines Großvaters zurückgreifen, der in Rumänien in einem Arbeitslager gefangen gehalten wurde. Das Problem war nun für den jungen Schüler, aus der umfangreichen Vorlage etwas Eigenes zu formen. Wie schreibt man einen Einstieg, der zum Lesen reizt, wie einen guten Dialog? Gina Meyer konnte den jungen Leuten viele gute Tipps geben, meist ziehen die ersten Sätze der Geschichten den Leser unmittelbar ins Geschehen.

Deutschlehrer Hans-Peter Schulz hat es gefreut zu sehen, wie motivierend der Workshop und Gina Mayer auf die Schüler gewirkt hat. Doch der raue Alltag holte sie schnell wieder ein: Nach dem Workshop mussten sie eine Klassenarbeit über das Thema schreiben.

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