Martin Girnth hilft sich selbst

Für die Kabel1-Serie „Hagen hilft“ knöpfte sich ein Unternehmensberater die Schuhmacherei an der Friedrichstraße vor. Was hat’s gebracht? Ortstermin ein Jahr danach.

Düsseldorf. Die Zeitreise dauert nur wenige Sekunden. Genau so lange wie man braucht, um eine Ladentür zu öffnen und hindurchzugehen. Die Schuhmacherei an der Friedrichstraße 130 ist einzigartig in der Stadt: Die Ladeneinrichtung ist original 50er, die Kasse noch älter: Das vielleicht älteste funktionstüchtige Exemplar der Stadt stammt vielleicht sogar noch aus der Anfangszeit des Geschäfts - angeblich befindet sich in diesem Ladenlokal schon seit den 20er-Jahren eine Schumacherei. Man mag es glauben, angesichts des alles dominierenden Ledergeruchs, der vermutlich schon tief im Mauerwerk sitzt.

Dies ist das Reich von Martin Girnth. Der 46-jährige Schuhmacher ist ein unverstellter und freundlicher Zeitgenosse, der die meiste Zeit des Tages in diesem Ladenlokal verbringt - oder in der Werkstatt im Hinterraum, wo die fast schon museumsreifen Maschinen stehen. Vor fast drei Jahren hat sich der gebürtige Wuppertaler aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig gemacht. Für 7.500 Euro übernahm er mit einem Partner die Einrichtung vom Vorgänger - und so steht sie heute noch da. Für Investitionen war kein Geld da.

Und doch passt irgendwie alles zusammen: Das rustikale Ambiente und dieser Mann, den manche vielleicht ungelenk und kauzig finden. Die TV-Macher jedenfalls sahen ihn so. Ein gutes Jahr ist es her, dass sie im Auftrag von Kabel1 anrückten. Für die Doku-Serie "Hagen hilft" suchten sie Geschäftsleute kurz vor der Insolvenz. Der Unternehmensberater Stefan Hagen analysierte die Probleme vor laufender Kamera - und steigerte den Umsatz binnen weniger Wochen. Doch war das wirklich nachhaltig. Oder am Ende alles nur Show? Wir haben nachgehakt.

In der Sendung jedenfalls ereignete sich ein kleines Wunder: In wenigen Wochen machte Stefan Hagen aus einem monatlichen Minus in Höhe von 258,46 Euro ein Plus von 135. Und wie steht es heute um die Schuhmacherei? Ja, es sei nach der Sendung besser geworden, sagt Girnth, der den Laden inzwischen allein führt.

Der Gewinn sei dauerhaft um etwa fünf Prozent höher als vorher. "Es ist etwas hängen geblieben." Dafür sieht er vor allem zwei Gründe: Zum einen habe sich der zusätzliche Verkauf von Taschen bewährt, vor allem aber habe die Sendung den Bekanntheitsgrad enorm gesteigert. "Es sind sogar Kunden aus anderen Stadtteilen extra hergefahren."

Es ist wohl vor allem dieser Effekt, weshalb sich der 46-Jährige heute ohne Weiteres nochmal auf ein solches Experiment einlassen würde. Dass nicht alles der Realität entsprach, was inszeniert wurde, ist für ihn eher zweitrangig. Das fängt schon mit der Beispielrechnung an. "Die haben sich gezielt den umsatzschwächsten Monat herausgesucht", sagt Girnth. Nur deshalb sei der extreme Umsatzsprung möglich gewesen.

Zur Inszenierung gehörte auch, dass der Schuhmacher in der Sendung unbedarft bis naiv rüberkommt: die Buchführung unbrauchbar - sofern überhaupt vorhanden, das Arbeitstempo lahm, der Geschäftsinstinkt gleich null. "Ein netter, fleißiger Schuhmacher, aber keine Ahnung von Zahlen, so wurde ich dargestellt."

Seine Einwände seien ignoriert worden: "In letzter Konsequenz ging es darum, was der Zuschauer sehen will, nicht um meine konkrete Situation", sagt Girnth. Trotzdem fühlt er sich nicht vorgeführt. "Das war eben der Deal. Ich wusste ja, dass es mir umgekehrt etwas bringt." Und das, was es brachte, ließ er sich auch nicht mehr nehmen. Als etwa der zur Schaufenster-Deko eingesetzte Torso abgeholt werden sollte, wehrte sich der Schuhmacher. Das Teil blieb.

Unter dem Strich ist das Experiment Fernsehen für Girnth gelungen: "Ich würde es wieder tun. Allerdings hätte ich gerne mehr inhaltlichen Einfluss." Den Laden will er trotz 60-Stunden-Woche und starker Konkurrenz weiterführen. "Solange Menschen Schuhe unter den Füßen haben, ist das ein sicherer Job." Hagen hilft? Girnth hilft sich selbst...

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