Liebeserklärung an die Ratinger

Die Kö ist bekannter, die Bolker belebter, aber nur die Ratinger Straße ist Kult, Heimat und Schmelztiegel. Jetzt auch zum Nachlesen.

Düsseldorf. Gleich zu Anfang müssen wir etwas gerade rücken. Das Buch über die Ratinger Straße ist gar kein Buch über die Ratinger Straße! Eigentlich ist es ein Buch über Menschen. Über die Menschen, die an der - nach der Kö - zweitbekanntesten Straße der Stadt leben, arbeiten oder feiern. Und es ist ein Buch über die Häuser, die an der zweitbekanntesten Straße stehen und gestanden haben.

Die Nummer 48 ist eins von ihnen. 1897 eröffnete Familie Brück dort eine "Drogen- und Farbhandlung". Die Einrichtung, Glasballons, riesige Eichenregale, Tinkturgefäße und eine "National"-Registrierkasse aus dem Jahr 1899, sind mittlerweile ins Stadtmuseum, die jüngste Tochter der Familie, Hannelore Gandino, nach Rom gezogen. Auf 16 Seiten hat sie die Geschichte der Familie fürs Buch festgehalten.

Wobei es das Schicksal mit den Brücks nur bedingt gut meinte. Der Erste Weltkriegs hackte die meisten Äste des Brück’schen Stammbaums ab, übrig blieb Johann Peter, genannt Hans. Der fiel als Kind vom Balkon auf die Straße - eine Nudelkiste rettete den Dreikäsehoch, hinterließ aber eine gewaltige Narbe auf Hansis Stirn.

Die Ärzte attestierten ihm den damaligen Paragraphen 51, Schwachsinn aufgrund einer Kopfverletzung. Glück für Hans, das Attest bewahrte ihn vor Krieg Nummer zwei und gewährte ihm ein üppiges Maß an Narrenfreiheit: Wann immer Nazis ihre Fahnen hissten, zog Hans seine langen Unterhosen an der Fahnenstange hoch.

Ein noch längeres Kapitel ist dem Ratinger Hof gewidmet. "Unter Qualen" mussten sich die Herausgeber, Karl "Charly" Böcker und Addi Hansen, und Gestalterin Andrea Wark, auf 22 Seiten begrenzen. Material hätte es für Hunderte gegeben.

Abgeschwatztes Material zumeist. "Vier Jahre lang haben wir bei Anwohnern geklingelt, Interviews geführt und nach Fotos und Anekdoten gefragt", erzählt Charly Böcker, geborener Essener, der nach eigener Angabe im Kreuzherreneck bei Kultwirt Bobby sozialisiert wurde. "Einige haben wir regelrecht aus dem Bett geholt."

Arbeit, die sich gelohnt hat. Die 320 Seiten über die Ratinger, ihre Bewohner, Besucher und Häuser, sind als wunderbarer Spaziergang konzipiert. Es geht vom Ratinger Tor bis ans Rheinufer. Nebenstraßen werden gestreift, Vergangenes lebendig gemacht, und Gegenwärtiges lässt Künftiges erahnen. Wer die Straße nicht mag, kann sich über Fotos von Berühmtheiten freuen, meist ungeschminkt, vermeintlich unbeobachtet, nachdenklich oder schwer vom Alt gezeichnet. Entstanden ist die Idee zum Buch - wer ahnte es nicht? - an der Ratinger. Beim Bierchen in der Füchschen-Schwemme.

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