Kunst aus dem Reich der Symbole im Goethe-Museum

Werke von jüdisch-russischen Künstlern sind im Goethe-Museum zu sehen — bekanntester Vertreter ist Marc Chagall.

Kunst aus dem Reich der Symbole im Goethe-Museum
Foto: LS Collection des Van Abbemuseum Eindhoven

Düsseldorf. Marc Chagall, El Lissitzky und viele ihrer russischen Künstlerkollegen sprachen Jiddisch. Sie bebilderten jiddische Bücher und gehörten vor gut 100 Jahren mit ihrer Malerei und Grafik zu den Begründern der modernen, abstrakten Kunst. Sie können gar als Vorreiter der modernen Schule gelten. Diese These vertritt Kunsthistorikerin Andrea von Hülsen-Esch, die jetzt zu diesem Thema eine ungewöhnliche Schau im Goethe-Museum eröffnete.

Die Professorin für Kunstgeschichte an der Heinrich-Heine-Universität hat mit ihren Studenten die Exponate aufbereitet und dazu einen Katalog mit lesenswerten Text-Beiträgen verfasst, die die Hintergründe der gezeigten Arbeiten und die zahlreichen Symbole enträtseln. Unter dem Titel „Jiddisches Erwachen - Buchkunst und Grafik von jüdisch-russischen Künstlern ab 1916“ sind in einer feinen Kabinett-Ausstellung bis 15. Juli 50 Gemälde und Zeichnungen, darunter auch Porträts von Osteuropäern jüdischen Glaubens, zu sehen. Sämtliche Exponate stammen aus der niederländischen LS Collection Van Abbemuseum in Eindhoven.

Auf den Blättern fallen zunächst geheimnisvolle Fabel-Tiere auf — zum Teil in Schwarz-Weiß, dann aber wieder in leuchtendem Orange. Eule, Adler, Papagei, Storch, Rabe und Pfau stolzieren über die Fläche. In ruhender Pose oder gezeichnet in dem Augenblick, während sie Beute machen. Hebräische Schriftzeichen an den Rändern wirken für uns wie eine ästhetische Bereicherung der Szene oder geben ihnen einen Halt. Tier- und florale Motive und abstrakte Gebilde weisen auf das Bildverbot, das in sakraler jüdischer Kunst gilt. Doch jüdische Künstler, denen im zaristischen Russland der Zutritt zur Kunstakademie noch verwehrt war, konnten sich erst nach 1910 freier entfalten. Einige von ihnen emigrierten während oder nach der Russischen Revolution 1917. Manche kehrten später in die Heimat zurück und schlossen sich der früheren sowjetischen Avantgarde an. Bekannte Namen wie Chagall und Malewitsch stehen neben hierzulande eher Unbekannten wie Issachar Ber Ryback, Ezra Korman oder Leyb Kvitko. Sie experimentierten in den 20er/30er Jahren mit Menschen-Figuren, geometrischen Gebilden und hebräischen Buchstaben. Und erzielen auf vielen Arbeiten erzählerische, manchmal dekorative Wirkung. Auf alten Tapeten und Papierfetzen malten sie windschiefe Häuser (im Stil des Expressionismus), oder Gesichter, die in einen Kosmos eintauchen. Viele Szenen scheinen verwandt zu sein mit konstruktivistischer Kunst eines Fernand Léger, der in seinen Grafiken ebenfalls Text und geometrische Kunst vereinte. „Der Franzose Léger hatte Kontakt zu vielen dieser osteuropäischen Künstler und wurde von ihnen inspiriert“, sagt von Hülsen-Esch. Neben der Lithografie-Serie zum Märchen „Der behexte Schneider“ von Anatoli Kaplan und futuristischen Grabsteinmotiven von Natan Altman - wie „Der ruhende Hirsch“ oder „Eva und die Schlange“- fallen besonders vier expressive Porträt-Rötel-Grafiken von Ber Ryback auf. Mit geschwungenen Linien zeichnet er Gesichtslinien, halb geschlossene Augen, Hakennase und Kopfbedeckungen. Und betont damit einen düsteren, verschlagenen Gesichtsausdruck: Er erinnert fatal an die stereotypen Bildnisse, mit denen die Nazis einst ihre antisemitische Hetz-Propaganda betrieben. Eine verblüffende Parallele, die dem Betrachter manche Rätsel aufgeben. „Gibt es eine jüdische Kunst?“ „Ist jüdische Kunst nicht eher international? - Fragen, die auch die aktuelle Kunstgeschichte stellen. Und zwar während eines Symposions im Haus der Universität, organisiert von den Professorinnen Andrea von Hülsen-Esch, Marion Aptroot und Efrat Gal-Ed. In Vorträgen, Konzerten und Lesungen beleuchten internationale Wissenschaftler (auch aus den USA) noch bis heute Nachmittag die Facetten von „Jiddischem Europa“ und „Europa denken in Jiddisch“. Die These, dass jüdische Kunst letztlich zur Abstraktion führte, vertritt von Hülsen-Esch. Sie weiß jedoch, dass die Behauptung in der Fachwelt umstritten ist.

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