Tonhallen-Intendant Becker: „Das Haus hat sich jeder Altersklasse geöffnet“

Tonhallen-Intendant Michael Becker über den Wandel des Konzertbetriebs in seiner zehnjährigen Amtszeit.

Tonhallen-Intendant Becker: „Das Haus hat sich jeder Altersklasse geöffnet“
Foto: Susanne Diesner

Herr Becker, was konnten Sie in Ihrer bislang zehnjährigen Amtszeit in der Tonhalle verändern?

Michael Becker: Sicher die Rolle des Intendanten. Ich bin davon überzeugt, dass ein Intendant Aufgaben der Mitarbeiter nicht einfach „von oben“ diktieren sollte.

Wie kann man sich das vorstellen?

Becker: Ungefähr so wie bei dem Dirigenten Christoph Eschenbach. Der gibt einen Einsatz und schaut, was das Orchester selbst zurück gibt. Es gibt so eine größere Durchlässigkeit.

Und wie hat sich diese Vorgehensweise niedergeschlagen?

Becker: Die auffälligste Veränderung ist die Öffnung des Hauses für jede Altersklasse. Junge Leute bekommen das Gefühl: „Die wollen wirklich was von mir.“ Diese Haltung versuche ich auch zu vermitteln, und ich glaube, dass sie sich durchgesetzt hat. Es kommt dann die Phase, wo jeder im Haus etwas dazu beiträgt.

Was heißt das konkret?

Becker: Im Haus sind knapp 300 Leute beschäftigt. Musiker, Garderobieren, Techniker, Planerinnen. Jeder und jede trägt einen wesentlichen Teil zur Entwicklung des Hauses bei. Konkrete Ideen zu Ticketsystemen, Parkplatzservice, Konzertformaten. Von der Pforte bis zur Dramaturgie - ein besonders kreatives Abteil ist natürlich die Konzertpädagogik.

Wie hoch ist der Etat für diesen Bereich?

Becker: Es gibt nicht extra Geld dafür. Aber wir verwenden für die Konzertpädagogik aus unserem bestehenden Etat rund 500 000 Euro pro Jahr, ohne dass die anderen Bereiche künstlerisch darunter gelitten hätten. Das liegt aber auch an der riesigen Motivation aller Mitwirkenden.

Gibt es eine Innovation für die Tonhalle, die Sie noch umsetzen wollen?

Becker: Das Verhältnis zwischen Eigen- und Gastveranstaltungen weist noch Brüche auf. Wir wollen ja keine Abspiel-Hütte sein. Die Zusammenarbeit mit Heinersdorff funktioniert bereits sehr gut. Aber in den Bereichen Comedy, Weltmusik, A-Cappella, Club-Pop ließen sich intelligente Reihen gestalten. Dafür müssen wir den Veranstaltern das Haus aber noch besser begreifbar machen, weil ich glaube, dass der Tonhallen-Spirit auch ihren Shows gut tut. Da wir auf eine GmbH zugehen, werden wir hier aber mehr Gestaltungsspielraum erhalten.

Was wäre der Vorteil?

Becker: Mehr Flexibilität. Wir wären finanziell und personell nicht mehr dem gesamtstädtischen Getriebe unterworfen und können über längere Zeiträume organischer planen. Dabei sparen wir zwar erst mal kein Geld und werden auch nicht plötzlich reich, wir können die Mittel aber anders anlegen, die Personaldecke selber zurecht ziehen, außerhalb fixierter Stellenpläne denken. Die Fluktuation ist in Konzerthäusern sehr groß, das Personal hoch spezialisiert.

Bis wann soll es soweit sein?

Becker: Ich schätze bis 2018. Genau sagen kann ich es noch nicht. Irgendwann schauen Politik und Verwaltung drüber, und dann bekommen wir eine Zeitvorgabe.

Bei Betrachtung der städtischen Haushaltsbücher fällt auf, dass die zwölf Symphoniekonzerte in den 80er und 90er Jahren höhere Abo- und Auslastungsziffern aufweisen als heute. Wie erklären Sie sich das?

Becker: Die Besucherzahlen sind heute höher. Allerdings sind die Publika vielfältiger. Die 80er waren die große Klassik-Zeit der Tonhalle. Ein relativ neues Haus mit der wirkungsmächtigen Begleitung der Kölner Philharmonie. Vergleichsweise wenig Ablenkung, wenige Alternativen. Und das Abo war noch eine Selbstverständlichkeit. Dann kam eine Zeit der Disruptionen und Irritationen auf dem Klassikmarkt. Städtische Orchester haben massivst Publikum verloren. Heute haben wir über alles gerechnet eine höhere Auslastung für die Symphoniker und für die Eigenveranstaltungen der Tonhalle als in der guten alten Zeit. Seit dem Antritt von Adam Fischer und Alexandre Bloch gehen die Abozahlen durch die Decke und die Konzertbesuche erreichen ein 20 Jahres-Hoch. Das geht schon in die richtige Richtung. Und das mit einem größeren und viel bunter gemischten Publikum als damals.

Als wir 2013 das Wagner- und Verdi-Jahr hatten, gab es kaum Resonanz in der Tonhalle, warum?

Becker: Ich finde, dass Komponisten-Jubiläen der letzte Grund sind, ein Konzert zu geben. Zumal dann, wenn sie eigentlich für Oper stehen. Anders ist das, wenn man Säulenheilige wie Schumann und Mendelssohn in der Stadt hat. Da finde ich es richtig, stärker einzusteigen. Und der Haydn-Mahler-Zyklus mit Adam Fischer brummt auch ohne Jubiläum.

Oratorien erklingen auch eher selten in der Tonhalle.

Becker: Ich finde, dass Oratorien zuallererst in Kirchen und deren Akustik gehören. Ich bin auch skeptisch, ob man mit Bachs Johannespassion oder Händels Messias die Tonhalle dreimal voll bekommt. Ausnahmen wie das Verdi-Requiem oder die Bruckner-Messen haben wir aber sehr selbstverständlich im Programm. In der nächsten Saison kommt die „Mass“ von Bernstein.

Was für ein Budget für berühmte Solisten halten Sie für noch vertretbar?

Becker: Man kann nicht den kompletten Etat für einen Star verbrauchen. Die Höhe von Gagen ist aber nicht in Stein gemeißelt. Als der mittlerweile leider verstorbene Tenor Johan Botha angefragt wurde, unter der Leitung von Adam Fischer in der Tonhalle aufzutreten, hat er begeistert gesagt: „Ich bin dabei“, ohne über Geld zu reden. Leider kam es ja nicht mehr zu Bothas Gastspiel. Aber es gibt viele berühmte Solisten und Dirigenten, die einfach gerne zu uns kommen und auch bei der Gage mit sich reden lassen. Wann kann man schon dreimal vor vollem Haus in einem so schönen Saal auftreten…

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