Schauspielhaus: Der Bürger als Fundamentalist

„Michael Kohlhaas“ zeigt, wie Rechtsempfinden in Terrorismus umschlagen kann.

Düsseldorf. In Berlin werden S-Bahn-Züge lahmgelegt. Im Wendland geht es gegen die Castor-Transporte. In Stuttgart macht die Mittelschicht mobil gegen den neuen Bahnhof. Die Republik scheint rebellisch zu werden. Da passt die Dramatisierung von Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" am Jungen Schauspielhaus gut in die Zeit.

Die junge Regisseurin Sahar Amini, die sich auf die Dramatisierung von James Saunders stützt, kommt mit drei Schauspielern aus. Neben Alexander Steindorfs als Kohlhaas spielt Alessa Kordeck seine Frau Lisbeth und den Erzähler, während Christof Seeger-Zurmühlen als Knecht, Zöllner, Junker, Graf und Kurfürst fürs Restpersonal zuständig ist. Eine Besetzung, die von Beginn an auf Problemfokussierung anstatt illusionistischer Deutung setzt.

Alles beginnt ganz idyllisch mit dem Eheglück von Kohlhaas und seiner Frau Lisbeth. Dann allerdings soll der Pferdehändler an der Burg des Junkers von Tronka aus reiner Schikane einen Pass vorzeigen. Er lässt Pferde und Knecht als Pfand zurück und findet sie nach Tagen als Klepper und körperliches Wrack wieder vor. Ein Pferdehalfter für Kohlhaas und ein Schlossvogt mit Reitpeitsche genügen der Regie, um den Konflikt zu etablieren. Hier schon erweist sich Kohlhaas als ruppiger Zeitgenosse. So liebevoll er mit seiner Frau umgeht, so brutal windet er den Körper seines eigenen Knechts um sich und presst die Wahrheit aus ihm heraus. Argumentieren ist seine Sache nicht, sondern ein Körperaktivismus, der später in Gerechtigkeitsterrorismus umschlägt.

Kohlhaas’ Widersacher sind zunächst nur schnöselige Brutalos im roten Anzug. Christof Seeger-Zurmühlen übersteigert die Machtfiguren zunächst sehr ins Groteske, findet aber bei Knecht oder Hofbesitzer zu einer differenzierten Darstellung. Kohlhaas’ Streit um sein Recht strandet an einer Seilschaft des Hofes und an einer formalistischen Rechtsauffassung, die mit einem platten Video mit Christof Seeger-Zurmühlen als kafkaesken Büroapparatschik illustriert wird.

Als Lisbeth bei einer Petitionsübergabe tödlich verletzt wird, sagt sich der Pferdehändler von der Gesellschaft los. Anstatt Hemd und Krawatte, trägt er jetzt schwarzes Shirt und schwarze Hose: Anarcho-Outfit. Kohlhaas ruft zum "gerechten Krieg" und überfällt mit anderen Unzufriedenen Tronkas Landsitz, lässt dessen Frau mit dem Halfter im Mund vergewaltigen, schwingt ideologische Brandreden von den Bühnenwänden herab, auf denen Flammen züngeln. Ein Fundamentalist reinsten Wassers.

Erst als der Kurfürst von Brandenburg Tronka den Prozess macht und gleichzeitig Kohlhaas wegen Landfriedensbruch zum Tode verurteilt, ist der Rebell zufrieden: Er hat Recht bekommen - wenn auch auf Kosten des eigenen Lebens. Eine Inszenierung, die trotz manch plakativer Bilder in der Konzentration auf die Schauspieler und ihrer Problemfokussierung ihr Plus hat.

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