Premiere von "Mord" - Der Frieden hat sich verspätet

In „Mord“ steckt eine Tragödie griechischen Formats. Zu schnell aber ziehen die Bilder unter der Regie Dedi Barons im Kleinen Haus vorüber.

Premiere von "Mord" - Der Frieden hat sich verspätet
Foto: Sebastian Hoppe

Düsseldorf. Warum musste sein Sohn sterben? Diese Frage stellt der Vater den drei israelischen Soldaten nicht. „Die Frage nach dem Warum gehört zu einer anderen Zeit“, sagt er. Er will nur wissen, was die letzten Worte des jungen Palästinensers waren, den die drei misshandelt und ermordet haben. Und es wird ihm keine Ruhe lassen. Nicht nach zwei Jahren, nicht nach fünf Jahren und auch nicht am Ende. Für diesen Vater hat sich der Frieden verspätet, der kurz nach der Tat aus Feinden Nachbarn und irgendwann Freunde machen wird. Hass und Trauer treiben ihn an. Aus Rache wird auch er zum Mörder. Die Zeit der Ruhe ist vorbei. Wieder einmal.

In der Parabel des israelischen Autors Hanoch Levin steckt eine Tragödie griechischen Formats. Die Taten der Vergangenheit ruhen nicht, sie schreiben sich fort. Auf Mord folgt Mord, auf Trauer folgt Trauer. In drei Akten erzählt er, wie das Sterben des einen Sohnes das Sterben eines weiteren fordert. Bei einer Hochzeitsfeier erschießt der rastlose Vater nach Jahren den jungen Bräutigam und seine jungfräuliche Liebste. Er sieht in dem Jungen den Soldaten von damals, den Schlächter seines Kindes. Ein Irrtum. Ein Irrtum ist auch, dass ein harmloser Arbeiter, ein verklemmter Spanner, für den Mörder des Paares gehalten wird. Ein Mob bringt sich in Rage und tötet ihn. Aus Opfern werden Täter, Täter werden zu Opfern.

In der Regie der Israelin Dedi Baron ziehen die Bilder in nur einer Stunde und 15 Minuten im Kleinen Haus an einem vorbei. Zu schnell, um von ihrer Tragik gepackt zu werden. Das gezeigte Leiden bleibt bloße Beobachtung.

Baron, der Gast aus Israel, hat bereits 2010 am Düsseldorfer Schauspielhaus „Lemon Tree“ unter der damaligen Intendantin Amélie Niermeyer beachtenswert inszeniert. Im Rahmen der Jüdischen Kulturtage präsentiert die Professorin für Regie an der Universität von Tel Aviv nun das Stück „Mord“, zu dem an diesem Premierenabend Niermeyer ebenso anreiste wie der ehemalige Düsseldorfer Interimstheaterchef Manfred Weber.

Souverän und eindrücklich verdeutlicht Baron die Spirale der Gewalt, in dem sie die Bühne von drei Seiten mit Videoprojektionen umgibt. Zu sehen sind Luftaufnahmen, wie wir sie aus dem Nahen Osten kennen: zerbombte Straßenschluchten, brennende Häuser. Dann spricht ein kleiner Junge in die Kamera: „Die Zeit des Mordens ist vorbei.“ Die Kinder werden es nicht verstehen, die Enkel werden lachen und die Urenkel erfahren nur noch aus den Geschichtsbüchern, was einst geschah. Dann grüne und gelbe Wüstenhügel. Frieden. Später wird eben dieser Junge sagen, dass der Krieg vor der Tür steht.

Die Bühne stammt von Florian Etti: Große, sandfarbene Quader hat er zu einer Fläche zusammengestellt. Die Menschen laufen auf ihr, ziehen sie auseinander, geraten in Spalten, stapeln und verschieben ihr Welt. Hilflos und ohne Plan.

Dass dieser Abend nicht die diskussionsauslösende Wirkung hinterlässt, die sich Intendant Günther Beelitz in seiner Begrüßung gewünscht hat, liegt nicht an den Darstellern. Es gibt berührende Momente, wenn etwa Hanna Werth als Braut zusammen mit ihrer Schwester gekonnt und bewegend singt, wen sie beim Aufwachen erblicken: „Du und ich und der nächste Krieg.“

Auch die drei Soldaten, gespielt von Thiemo Schwarz, Konstantin Bühler und Dominik Raneburger präsentieren in knappen Szenen, was es heißt „im Eifer des Gefechts“ zu töten.

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