Neuer Schauspielhaus-Intendant: „Ich habe lange gezögert, ob ich komme“

Düsseldorf. Der Vertrag für die Intendanz ist in Arbeit. Lange hat Wilfried Schulz gerechnet, ob er seine Vorstellungen von Theater auch hier umsetzen kann, sagt der designierte Schauspielhausintendant.

Wilfried Schulz spricht im WZ-Interview über die Herausforderungen am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Wilfried Schulz spricht im WZ-Interview über die Herausforderungen am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Foto: Sergej Lepke

Jetzt arbeitet er daran.

WZ: Herr Schulz, Sie sind regelmäßig in Düsseldorf. Ihre erste Spielzeit beginnt aber erst im Herbst 2016.

Wilfried Schulz: Wenn man ein Konzept für ein Haus entwerfen will, muss man es ja vorher kennen. Anderthalb Jahre sind da eher eine knappe Zeit. Ich muss Menschen mehrmals treffen, um Entscheidungen fällen zu können. Und ich muss vor allem Düsseldorf kennenlernen, denn ich will das Theater ja in die Stadt hinein konzeptionieren. Ein Theater hier sieht anders aus, hat andere Inhalte und Ziele als in Dresden oder Hamburg.

Welche Rolle spielt ein Intendant in einer Stadt? In Dresden waren Sie Grünkohlkönig, wie wäre es hier mit Karnevalsprinz?

Schulz: Ich neige eigentlich nicht zu solchen Überschwänglichkeiten. Es braucht aber Leute, die über den Zustand der Gesellschaft laut reden und nachdenken. Das sollte man nicht der Politik überlassen. Eine wichtige Frage finde ich: Wie wollen wir leben? Ich werde dafür bezahlt, Teil einer Öffentlichkeit zu sein, die mit Theatermitteln Gesellschaft reflektiert. Ich gehe dafür auch zu den Rotariern, spreche mit Lehrern oder gehe in den Presseclub, der übrigens hier in Dresden den sogenannten „Grünkohlkönig“ kürt.

Wie begreifen Sie die Stadt?

Schulz: Die wichtigste Ebene ist, viele Leute zu treffen. Ich war gerade bei der Eröffnung der Uecker-Ausstellung, weil ich Marion Ackermann gut kenne. Beim anschließenden Essen gab es einmal die Düsseldorfer Kunst- und Kulturszene pur.

Ist das anders als in Dresden?

Schulz: Ja natürlich. Die Kunstszene und vor allem die Szene der Bildenden Kunst in Düsseldorf hat ein enorm großes Selbstbewusstsein. Die schöne Lust, Günther Uecker und sich selber zu feiern, das war etwas sehr besonderes.

Nach dem ersten Eindruck, wo steckt Düsseldorfs Potenzial, wo ist eine Lücke für Sie?

Schulz: Man muss nicht die Lücke suchen, sondern das Zentrum. Ich bin erklärtermaßen für ein modernes, offensives Stadttheater. Das bedeutet, ein Haus im Mittelpunkt der Stadt zu platzieren, das sich als Kommunikationsort für das Selbstverständnis, die Probleme und Konflikte der Stadt anbietet. Das ist uns in Dresden gelungen, in Hannover und Hamburg. Warum nicht in Düsseldorf? Ich glaube nicht an die eine solitäre Inszenierung, in die alle rennen.

Was haben Sie zu bieten?

Schulz: Es gibt in der Gesellschaft fast keine Orte mehr, in der sich eine diversifizierte Gesellschaft trifft, um sich über sich selbst zu verständigen. Das klingt anstrengend, ist aber gar nicht anstrengend gemeint. Ein Stadttheater sollte so ein Ort sein, ein Reflexionsort. Was jetzt erst einmal nichts darüber aussagt, ob eine Inszenierung entertainiger oder ernsthafter ist. Das hat alles seinen Raum und seine Berechtigung. Es ist zunächst einmal ein Angebot an die Menschen, an die Düsseldorfer. Das können sie annehmen, dann bin ich ein sehr glücklicher Mensch. Oder sie nehmen es nicht an, dann wird das Konzept nicht aufgehen.

An wen richtet sich Ihr Konzept?

Schulz: Ich möchte natürlich ein älteres, dem Schauspielhaus verbundenes Publikum nicht verprellen. Jeder, der Theater liebt, soll seinen Platz finden. Aber es soll viele neue Leute geben, die das Theater selbstverständlich als ihren Ort begreifen. Das Publikum eines guten Theaters spiegelt sozial und in den Generationen die Stadt wieder.

Sie haben in Dresden eine Bürgerbühne initiiert. Ist das etwas für Düsseldorf?

Schulz: Ich weiß nicht, ob wir uns das leisten können. Das kann man nicht mal eben nebenher machen. Aber wir werden versuchen, in der Stadt und mit vielen Partnern ein Fundament dafür zu finden. Wahnsinnig froh bin ich darüber, dass hier das Kinder- und Jugendtheater zum Schauspiel gehört. Das ist mir extrem wichtig und ich möchte es weiter ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken — mit einem eigenen Ensemble. Wir arbeiten daran, dass es auch Ausflüge in die anderen Häuser macht.

Auch ins Central am Hauptbahnhof?

Schulz: Ja, vielleicht. Bisher sind dort viele Ideen gescheitert.

Soll das Junge Schauspielhaus Ihre Bürgerbühne werden?

Schulz: Das Kinder- und Jugendtheater wird der Kern bleiben. Das hat hier Tradition und bietet eine gute Chance, ein Publikum zu erreichen, das nicht schon seit 30 Jahren eine bestimmte Theatergewohnheit hat. Ich darf das sagen, weil ich selbst nicht mehr ganz jung bin. Für eine Bürgerbühne wie in Dresden fehlen mir hier, wie gesagt, bislang noch die Mittel.

Mit 25 Millionen Euro Budget sind Sie doch gut ausgestattet.

Schulz: Düsseldorf verfügt nicht über wesentlich mehr Möglichkeiten, als ich sie in Dresden habe. Ich komme nicht aus finanziellen Gründen — das betrifft mich persönlich ebenso wie den Etat.

Vielen Menschen kommt dieser Betrag gigantisch vor.

Schulz: Die Düsseldorfer denken immer, sie haben ein reiches Theater. Sie rechnen aber nicht mit ein, dass sie eineinhalb Millionen für das Jugendtheater ausgeben und auch eine erhebliche Summe quasi dauerhaft für das Werkstatt- und Probenzentrum abzahlen. Sie rechnen nicht mit, dass sie jeden Handgriff an den Theatergebäuden aus dem laufenden Theateretat zahlen sollen. Ich weiß an vielen Stellen nicht, ob ich mir Engagements leisten kann, die ich mir in Dresden leisten konnte.

Wie hoch ist das Budget dort?

Schulz: In Dresden habe ich 20 Millionen, bekomme aber zusätzlich zwei Millionen für Gebäudeunterhalt und Infrastruktur, das Kinder- und Jugendtheater wird extra von der Stadt getragen und bei uns im Osten sind die Gehälter und die Lebenshaltungskosten geringer. Dieser leichte Dünkel in Düsseldorf — wir geben wahnsinnig viel Geld für dieses Theater aus — da kann ich nur sagen: Schaut mal nach Frankfurt, Hamburg, Berlin, Stuttgart oder eben auch Dresden. Ich habe lange gezögert, ob ich komme. Und lange gerechnet, ob Düsseldorf im Verhältnis zu Dresden von den Möglichkeiten drüber oder drunter liegt. Jede Stadt, jedes Bundesland muss das Verhältnis zu Kunst und Kultur definieren, muss sagen, was dieser gesellschaftliche Motor für einen Wert hat. Und ich vertraue der Ernsthaftigkeit politischer Erklärungen in NRW und Düsseldorf.

Können Sie jetzt finanziell umsetzen, was Sie vorhaben?

Schulz: Ja, ich hoffe. Und ich will nicht larmoyant sein und klagen. Natürlich haben wir viele Möglichkeiten.

Bauchschmerzen bereiten Ihnen die Baustellen im und um das Schauspielhaus herum. Wie geht es da voran?

Schulz: Das ist ein heikles Thema: Stadt und Land haben inzwischen realisiert, dass ein großes Haus aus den späten 60er Jahren einer regelmäßigen Pflege und Sanierung bedarf. Das ist sehr zu begrüßen. Ich möchte sehr gerne mit den Beteiligten einen Masterplan entwickeln, was in den kommenden zehn Jahren zu tun ist. Über solche Sachen rede ich zurzeit mehr als über Kunst.

Wie sieht der Zeitplan konkret aus?

Schulz: Ich hoffe, dass die Stadt die jetzt notwendige Sanierung — und die ist heftig — zwischen Weihnachten 2015 und und leicht verspäteter Eröffnung der Spielzeit 2016 vornimmt. Und ich hoffe, dass sie so vollständig gemacht wird, dass das Haus in zwei oder drei Jahren nicht nochmals geschlossen werden muss. Wenn jetzt nicht alles Relevante gemacht wird, wäre das ein großer Fehler. Im Haus herrscht eine Depression, die auch damit zu tun hat. Wie soll ein Haus in die Offensive kommen, wenn es immer wieder zugesperrt wird?

Was ist mit den Bauarbeiten um das Haus herum? Das hält viele Besucher ab.

Schulz: Man kann und will kein Investorenprojekt für einige hundert Millionen verhindern. Wenn es sich so realisiert, wie es gedacht ist, kann das Schauspielhaus langfristig profitieren. Es ist dann verkehrstechnisch in einer sehr guten Lage. Ich spreche mit dem Architekten Ingenhoven darüber, ob an die geplante Plaza, an diesen öffentlichen Ort, auch eine theatrale Idee, vielleicht auch ein Bürger-Forum, eine Bürgerbühne andocken kann. Ein interessanter Schnittpunkt zwischen Kunst und Konsum. Ein Ort, der niemandem und allen gehören soll. Keine Ahnung, ob mir das gelingt.

Sie werden wie ein Heilsbringer fürs Schauspielhaus erwartet. Wie gehen Sie damit um?

Schulz: Ich bin froh , dass sich viele über mein Kommen freuen und mir das auch sagen. Aber ich würde das runterhängen. Zunächst einmal bin ich ein leidenschaftlicher Umbauer — privat und beruflich. Ich mag es, wenn etwas entsteht. Unser Arbeitstitel für Düsseldorf lautet: Under Construction. Das macht mir Spaß. Es entsteht eine neue räumliche Situation. Und es ist ein Begriff für die Aufgabe und den Zustand von Kunst und Theater. Die Vielfalt von Gesellschaft muss sich wiederfinden. Theater muss eine Wärme und Kraft ausstrahlen, das ist eine positive Haltung.

Sie stecken also doch mittendrin in der Theaterarbeit?

Schulz: Ja, Theater ist ja grundsätzlich eine Ermutigung, dass man immer wieder neue Räume bauen kann: Denkräume, Lebensräume, Räume des Aufgehobenseins und des Abenteuers.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort