Martin Schläpfer: „Ich bin nicht nur so, ich bin auch sonnig“

Interview: Ballettchef Martin Schläpfer geht beim Tanz einen eigenen Weg. Er zieht Bilanz nach seiner ersten Spielzeit in Düsseldorf.

Düsseldorf. Fünf Premieren, darunter zwei Uraufführungen, in neun Monaten - das ist ein Kraftakt, den nur wenige durchhalten. Der Ballettchef der Deutschen Oper am Rhein, Martin Schläpfer, hat in seiner ersten Spielzeit in Düsseldorf alles daran gesetzt, Vorstellungen zu choreographieren, die Publikum wie Kritikern in Erinnerung bleiben.

Nach Schläpfers bedingungsloser Uraufführung "Neither" nach der Oper von Morton Feldmann in b.04 waren die Kritiker begeistert, das Publikum jedoch hatte so seine Probleme mit dem intensiven Werk. Während es in der Premiere umjubelt wurde, hatten es die anschließenden Vorstellung schwerer. Sie waren weniger gut besucht, Zuschauer verließen vorzeitig den Saal. Schläpfer indes lässt sich nicht beirren. "Ich gehe meinen Weg. Ich werde ihn für eine Stadt nicht ändern." Am 12.Juni feiert die Oper mit b.05 die für diese Spielzeit letzte Ballettpremiere.

Herr Schläpfer, Sie sind sehr rasch zum Liebling der Feuilletons avanciert. Beglückt oder beunruhigt Sie das?

Schläpfer: Ich empfinde das nicht so. Es gibt ja eine Vorarbeit, die schon erfolgreich war. Auch laufe ich nicht Gefahr, mich verändern zu müssen oder beeinflussen zu lassen. Trotzdem ist für mich eine Premiere erst dann erfolgreich, wenn die Kritiker mitziehen. Ich bin in Düsseldorf immer noch am Anfang und würde nicht sagen, dass ich das Publikum hinter mir habe.

Aber es feiert Sie genau so.

Schläpfer: Ich habe den Eindruck, die Zuschauer verstehen den Tanz. Wer ein Werk auf die Bühne bringt wie Feldmanns "Neither", der macht das nicht, um das Publikum zu gewinnen. Ich frage nicht danach, was passen kann. Ich fühle zwar den Druck, aber ich glaube nicht, dass meine Arbeit an der Gunst des Publikums scheitert. Dazu arbeite ich zu hart.

Trotz der teilweise beklemmenden Stimmung, die "Neither" verströmt, begann der Applaus noch bevor der Vorhang fiel. Hat Sie das nicht irritiert?

Schläpfer: Ich dachte, die Menschen sacken erst einmal durch und es würde ruhig sein. Aber manchmal muss man eben sofort reagieren, wenn man sich überfordert fühlt.

Haben Sie dem Publikum zu viel zugemutet?

Schläpfer: Ich bin radikal, weil ich keine Angst vor der Psyche habe. Ich sehe keinen Unterschied zwischen Freude und Traurigkeit. Solche scheinbaren Gegensätze sind Bestandteil des Menschseins. Das möchte ich zum Ausdruck bringen. Aber ich würde ein Stück wie "Neither" nicht gerade jetzt noch einmal machen. Ich bin ja selbst auch nicht nur so. Ich bin auch sonnig.

Wie lange hat es gedauert, bis aus der Oper von Morton Feldmann Tanz wurde?

Schläpfer: Zweieinhalb Monate. Das ist sehr wenig Zeit. Ich habe mich hinterher oft gefragt, wie ich das geschafft habe.

Wie haben die Tänzer reagiert?

Schläpfer: Unter den Tänzern herrscht eine extreme Offenheit, aber es gab auch Bedenken. Auch in meinem Team. Keiner wusste, wie es wird, weil ich einfach nur nach vorn gearbeitet habe. Ich habe anfangs sogar Tagebuch geführt und abgefragt, wie sich die Leute zu welcher Zeit fühlen. Das hat geholfen. Und ich kann heute gar nicht mehr sagen, diese Tänzer waren mit mir in Mainz und jene kommen von Youri Vàmos. Wir sind mittlerweile eine Compagnie geworden.

Für die nächste Spielzeit haben Sie sich Schuberts "Forellenquintett" ausgesucht. Wird es nun gefälliger?

Schläpfer: Man geht doch durch Phasen, und jetzt ist Zeit für Veränderung. Schubert ist einer meiner Lieblingskomponisten. Ich erlebe seine Musik als etwas Wunderbares, und das "Forellenquintett" will ich schon lange machen. Es ist vielleicht einfach anzuhören, aber für mich choreographisch gesehen genauso schwierig wie "Neither".

Wir sieht Ihre ganz persönliche Bilanz nach der ersten Spielzeit in Düsseldorf aus?

Schläpfer: Ich bin bei einer Bilanz noch nicht recht angekommen. Ich brauche die Zeit im Sommer, um darüber nachzudenken. Die vergangenen Monate waren unglaublich anstrengend. In der nächsten Spielzeit mache ich eine Premiere weniger. Das ist gut.

Aber der neue Spielplan sieht doch fünf Uraufführungen vor, vier davon von Ihnen.

Schläpfer: Ich muss sicher grundsätzlich schauen, ob ich so viel Masse an Kreativität durchhalte. Aber ich will, dass die internationale Presse aufmerksam wird. Und das geht nur mit Uraufführungen. Sie merken schon, da spricht der Ballettdirektor.

Hat der Tag genug Stunden für ein solches Mammutprogramm?

Schläpfer: Ich stehe jeden Morgen um sechs Uhr auf und gehe nicht vor elf ins Bett. Ich muss sehen, dass ich weniger arbeite und lernen, zu delegieren. Ich führe viele Gespräche, und ich will diesen Austausch. Wenn man nicht ständig hinterfragt und auch hinterfragt wird, dann wird man glatt.

Sie haben einmal gesagt, Sie möchten mit dem Tanz an die Weltspitze. Wie nah sind Sie Ihrem Ziel gekommen?

Schläpfer: Wenn ich von Weltspitze rede, meine ich die künstlerische Substanz, die Compagnie. Und wir haben Tänzer, die Weltklasse sind. Ich würde nie sagen: Ich bin das. Aber ich möchte schon dorthin, wo ich den Tanz mitmodellieren und beeinflussen kann.

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