Düsseldorf Kunst aus Marzipan und Lebkuchen

Eat Art wird salonfähig. Für das Museum Kunstpalast soll eine Sammlung angekauft werden.

Düsseldorf: Kunst aus Marzipan und Lebkuchen
Foto: Achim Scheidemann, dpa

Düsseldorf. Eat Art hat nichts mit einer Gourmet-Küche zu tun. „Ess-Kunst“ war als Protest im Zuge der 1968er Jahre gemeint. Die ewigen Werte waren passé, Gemälde sollten durch Lebkuchen mit Zuckerguss, Bronzen durch Herings-Gräten oder atmende Brote ersetzt werden. Die Vergänglichkeit wurde zum elementaren Bestandteil. Diese Kunst war ein gefundenes Fressen. Werke entstanden nicht für die Ewigkeit, die Kunstfreunde durften sich die Schöpfungen der Maler und Bildhauer einverleiben.

Düsseldorf: Kunst aus Marzipan und Lebkuchen
Foto: Helga Meister

Die Klügeren hoben Lichtensteins „Pinselstrich“ aus Lebkuchen und Zuckerguss dennoch für magere Zeiten auf. Jetzt sollen die Reste, falls sie nicht längst zerkaut, verschluckt, an Museen verschenkt oder auf dem Kunstmarkt gelandet sind, für das Museum Kunstpalast angekauft werden. Die Autorin als Zeitzeugin präsentiert die Hauptakteure der Eat Art in Düsseldorf.

Eine Hauptrolle spielte Karl Gerstner als Mitinhaber der Werbeagentur GGK aus Basel. Er führte das Deutschlandbüro an der Immermannstraße, das 1967 die Mutter überflügelte. Gerstner war selbst Künstler, zweimaliger Teilnehmer der Documenta in Kassel. Er brachte schon 1959 mit Daniel Spoerri die berühmte Edition MAT heraus und machte die Multiples salonfähig. Spoerri kochte in Paris und schuf 1960 das erste Fallenbild, indem er am Ende eines Essens alle Gegenstände auf ihre zufällige Unterlage klebte und hochkant an die Wand hängte. Mit dieser Idee aus Paris kam er an den Rhein.

Am 30. November 1967 schrieb Gerstner dem Freund und lockte ihn nach Düsseldorf. „Sag mal, wie viel Geld würdest Du eigentlich brauchen, um hier ein Restaurant aufzumachen? Düsseldorf ist eine ausgesprochen beizenfreundliche Stadt. Aufgeschlossen aus Kuriositäten (der Wildesche Snobismus). Komm doch nach Düsseldorf und mach hier Deine Wirtschaft.“

Spoerri kam am 2. Januar 1968. Gerstner gab ihm nicht nur Bares, sondern auch Gabriele Henkels Geheimnummer, denn die brauchte er für die Konzession der Brauerei. Standort von Spoerri’s Restaurant wurde das Eckhaus Mühlenstraße/Burgplatz 19. Es gehörte der Schwabenbräu, die längst mit der Schlösser-Brauerei zum Oetker-Konzern gewechselt ist. 1968 gehörte ein größeres Aktienpaket dem Henkel-Konzern. Also meldete sich Spoerri mit sonorer Stimme bei der „Sekretärin“ Hete Hünermann, Gabriele Henkels Schwester. Er hatte Erfolg.

Am 17. Juni 1968 eröffnete Spoerri sein Restaurant. Hausnachbar Günter H. W. Pooch, der in der Mühlenstraße 1 eine Galerie führte, erinnert sich: „Wir haben seine Koffer ausgepackt. Darin war seine Korrespondenz mit den berühmtesten Leuten aus aller Welt. Diese unschätzbaren Dokumente hat er als Tapete für sein Restaurant benutzt.“ Die Wände zierten Liebesbriefe, Scheidungskurkunden, offizielle Verlautbarungen, Pässe, Künstlerpost.

Nun kommt Carlo Schröter ins Spiel, dessen Eat-Art-Sammlung jetzt angekauft werden soll. Er lebte seit 1963 am Rhein und wollte partout eine Stube für Käse-Fondue eröffnen. Die Wirte-Prüfung besaß er schon. Doch Spoerri überredete ihn, die Geschicke in „Spoerris Restaurant“ zu übernehmen, wo es Kamelfleisch aus dem Krefelder Zoo gab, das so zäh war, dass man es kaum beißen konnte. Bärenfleisch war zarter. Ein Hängebauchschwein züchtete Schröter selbst, bevor er daraus Suppen machte und sich vom Literaten Rolfrafael Schröer Suppenlieder texten ließ.

Die Editionen der Eat-Art-Galerie wurden berühmt. Arman steuerte Marzipan-Beine bei, von denen Schröter heute sagt: „Die Figürchen haben einen Oberschenkelhalsbruch und werden mit Zahnstochern gehalten.“ Pop-Künstler Roy Lichtenstein schuf besagten Pinselstrich aus Lebkuchen, César einen dicken Daumen aus Zucker, der sich rot verfärbt hat. In viele Museen schafften es die Hasenköttel-Hasen von Dieter Roth (Foto: Horst Kolberg).

Schröter erzählt: „Köttel und Stroh sollten in eine Hasenform gepresst werden, aber die Köttel fielen auseinander. Das lag am Trockenfutter, das die Tiere in einer Kaninchen-Züchterei in Lörick fressen mussten. Ich fuhr daraufhin nach Basel, wo ein Freund die Kaninchen Gras fressen ließ. Als mich der Zoll auf der Rückfahrt fragte, was ich im Kofferraum hätte, winkte ich ab: „Eigentlich nichts, nur Scheiße.“

Wegen Amtsbeleidigung ließ man mich nicht über die Schweizer Grenze; ich musste über Straßburg fahren.“ Der Renner im Restaurant waren Tischplatten, auf denen das Essen serviert wurde. Schröter erzählt: „Kaum war das Essen vorbei, nahmen wir den Gästen die Platten ab, mit allem, was dort noch lag, und klebten es auf die Platten. Wir haben für 100 000 Mark Geschirr abgeklebt.“ Es wurden Spoerris „Fallenbilder“, die dank des Henkel Klebers nicht herunterfielen.

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