Klassik: Der Großmeister des Klaviers

Pianist Grigory Sokolov zeigte in der Tonhalle an Bach, Brahms und Schumann die Wunder der Musik.

Düsseldorf. Grigory Sokolov ist kein Mann großer Gesten. Ovationen und Jubelrufe nimmt er ungerührt entgegen, wirkt dabei aber keineswegs arrogant, sondern bescheiden wie ein Diener alter Schule, der seinem Herrn gerade etwas serviert hat. In der Tonhalle spielte er Bach, Brahms und Schumann in musikalischer Vollendung und schenkte dabei seinen Hörern zwei Stunden höchsten Glücks.

Der russische Pianist hat sich auf keine Epoche spezialisiert, kennt sich aber in jedem Musikstil aus, als sei er gerade dort zu Hause. So gibt er beispielsweise die Partita c-Moll von Johann Sebastian Bach so klar und rein wie ein Purist altmeisterlicher Polyphonie. Sokolov geht aber über bloße Akkuratesse hinaus und offenbart uns auch die Wunder zwischen den Tönen.

Sehr langsam und leise spielt er die aus nur wenigen Stimmen bestehende Sarabande und erzeugt mit diesem Minimum ein Maximum an musikalischer Spannung. Dann wird es ganz still im Saal, niemand hustet, niemand raschelt, und man horcht mit innigstem Erstaunen in diese filigrane Welt hinein.

Dass dieser 60-jährige Herr mit weißen glatten Haaren und beim Musizieren etwas krummem Rücken nicht nur strengen Bach spielt wie ein Altvorderer des Barock, sondern auch in der viel überschwänglicheren Romantik des 19. Jahrhunderts hohe Eloquenz besitzt, wird deutlich in den Fantasien op. 116 von Johannes Brahms sowie Robert Schumanns fünfsätziger Sonate f-Moll mit dem Beinamen "Konzert ohne Orchester".

Sokolov wagt erstaunlich viel, nimmt sich verblüffend große Freiheiten beim Umgang mit den Tempi. Manches Brahms-Intermezzo spielt er deutlich langsamer als vorgeschrieben. Und in der Schumann-Sonate verzerrt er gar die Tempoverhältnisse innerhalb eines Satzes, beschleunigt rasant und bremst dann nahezu bis zum Stillstand. Doch all dies macht er mit sehr überzeugender musikalischer Plausibilität.

Junge Star-Pianisten, die oft subjektiv an Klavierwerke herangehen, ohne ihre eigentliche Substanz zu erfassen, können von Sokolov lernen, dass man seinen eigenen Weg gehen kann, ohne der Musik Gewalt anzutun. Diese Kunst demonstrierte Sokolov auch in den fünf Zugaben (alle aus Chopins Préludes op. 28). Das tiefgründige Drama, das er aus dem berühmten Regentropfen-Prélude machte, sucht in der heutigen Pianistenwelt seinesgleichen.

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