Buchvorstellung Jüdisches Schicksal: Der schwere Weg des Israel Borenstein

Eine Freundschaft, ein Geheimnis, ein Buch - Ein halbes Leben lang sind zwei Düsseldorfer enge Freunde. Erst spät erzählt der eine dem anderen von seinem Schicksal. Daraus wurde ein Buch.

Buchvorstellung: Jüdisches Schicksal: Der schwere Weg des Israel Borenstein
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Israel Borenstein sitzt mit Mithäftlingen vor der Baracke in der Sonne, als ein SS-Mann vorbeikommt und seinen Kameraden befiehlt, einem von ihnen in den Mund zu urinieren. Menschenverachtung war eine von vielen unerträglichen Spezialitäten der Nazis, die der Jude Borenstein im Vernichtungslager Auschwitz ertragen musste. Die Bilder sind in all ihrem Schrecken noch in seinem Kopf, als er 50 Jahre später zum ersten Mal mit seinem Freund Herbert Schmidt über seine Qualen spricht. Die beiden Düsseldorfer kennen sich fast ein Leben lang. „Ich habe überlebt, weil ich klein und unbedeutend war“, sagt Borenstein. Über den schweren Weg seines Freundes Israel Borenstein hat Schmidt ein Buch geschrieben, das er am 7. April in der Jüdischen Gemeinde vorstellt.

2001 steht Israel Borenstein kurz vor einer Bypass-Operation, als Herbert Schmidt sieben Tage lang für viele Stunden nicht von seiner Seite weicht. Augenblicke, in denen Israel Borenstein dem Freund erzählt, was zeit seines Lebens auf ihm lastet. Israel Borenstein übersteht die Operation und lebt noch 13 Jahre. Er stirbt im Dezember 2014.

Die beiden Männer lernen sich zunächst in Leipzig kennen. Der gebürtige Pole Israel Borenstein zieht nach dem Krieg dorthin, flieht jedoch wenige Jahre später mit seiner zweiten Frau nach Westdeutschland. Er weiß, dass einige seiner jüdischen Freunde in Düsseldorf Fuß gefasst haben und wagt den gleichen Schritt. An der Stresemannstraße eröffnet er einen Teppich-Handel. Herbert Schmidt folgt ihm zwei Jahre später und richtet wenige Meter entfernt ein Schmuckgeschäft ein. Dass sie in der neuen Stadt Nachbarn sind, ahnen die Männer zunächst nicht. „Es war reiner Zufall, dass wir uns so wiedergetroffen haben. Plötzlich stand Israel vor mir auf der Straße“, sagt Herbert Schmidt. Von da an entwickelte sich eine tiefe Freundschaft.

Als Israel Borenstein ihm sein Leben erzählt, hört Herbert Schmidt nicht nur zu. Er hinterfragt und forscht in Archiven nach. „Ich bin nicht nur sein Freund, ich bin eben auch Historiker“, sagt der heute 87-Jährige.

Er erfährt, dass Israel schon einmal verheiratet war und Kinder hatte. Er war 29 Jahre alt, als er seine junge Familie in Auschwitz verlor. Zum Abschied winkte er seinen Kindern und seiner Frau zu. Kein Kuss, keine Umarmung. „Er wusste ja nicht, dass sie nach der Rampe zum KZ nach links geradewegs in den Tod geschickt wurden.“ Die Erlebnisse seines Freundes treffen Herbert Schmidt bis ins Mark.

Wie groß die Verzweiflung war, erkennt er, als Israel Borenstein ihm folgendes erzählt: Die Führung seiner Arbeitskolonne hatte ein von der SS beauftragter Häftling, ein so genannter Kapo inne, der alle ihm Untergebenen sadistisch peinigte. Eines Nachts setzen Israel Borenstein und zwei Mithäftlinge den Umtrieben des Kapo ein Ende. „Ein wuchtiger Schlag auf den Hinterkopf und schon fiel er um“, erzählt Borenstein seinem Freund Herbert. Es ist das erste Mal, dass er jemandem erzählt, das er einen Menschen erschlagen hat.

Herbert Schmidt wusste früh, dass er Historiker werden wollte. Er hat die Pogromnacht 1938 miterlebt, und die Geschehnisse waren prägend. Von einem auf den anderen Tag stand für den damals Zehnjährigen fest, dass er einmal Geschichte studieren würde. In den 80ern besuchte er die Heinrich-Heine-Universität und promovierte dort. Von ihm sind zahlreiche Publikationen zur NS-Justiz und -Rassenpolitik erschienen.

„Er war ein Mann mit einer unglaublichen Menschlichkeit“, sagt Herbert Schmidt über seinen Freund Israel. Trotz der Abscheulichkeiten, die er erleiden musste, sei er nie voller Hass gewesen.

Er selbst wiederum wisse es zu schätzen, dass er als Deutscher und somit Zugehöriger zur Täter-Generation die Erinnerungen eines Juden aufschreiben durfte. Für Israel Borenstein war Herbert Schmidt kein Deutscher.

„Ich habe kein Vertrauen zu Deutschen“, sagte er. Nur ihm, Herbert, habe er voll und ganz vertraut. Israel Borenstein starb im Alter von 100 Jahren im Nelly-Sachs-Haus.

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