Günther Uecker, der Held mit dem Nagel

Seit 60 Jahren organisiert der einstige Mitstreiter von Zero seine weltweiten Erfolge von Düsseldorf aus.

Günther Uecker, der Held mit dem Nagel
Foto: Helga Meister

Düsseldorf. Im April 1968 erstürmten Günther Uecker und Gerhard Richter die Kunsthalle Baden-Baden. Und niemand schaute zu. Vorsichtshalber ließ Uecker den Auftritt fotografieren und bestückte damit seine erste „Uecker Zeitung“ von 1969. Selbst ist der Mann. Uecker, im Pyjama mit KZ-Sträflingsstreifen, schob einen großen Nagel unter den Arm und trug ihn wie eine Hieb- und Stoßwaffe gegen einen unsichtbaren Gegner. Die Stufen der staatlichen Kulturanstalt nahm er barfuß. Gerhard Richter folgte in Schnürschuhen und dunklem Habit.

Günther Uecker, der Held mit dem Nagel
Foto: Zero Foundation

Dann schlugen sie vor einem Aktbildnis ihr Nachtlager auf, um sich vor der Kamera ein Küsschen zu geben. Schließlich wirbelte Uecker wie ein wild gewordener Derwisch im Tanz. Damit die Nachwelt die Tat einzuordnen wusste, kommentierte er in seinem Extrablatt. „Ich denke, dass man die Museen zu bewohnbaren Orten erklären soll.“ Nun bereitet er ganz brav, ohne Pyjama, seine Ausstellung in der Kunstsammlung am Grabbeplatz vor.

Günther Uecker, der Held mit dem Nagel
Foto: Bernd Jansen

Ueckers Kraft ist so anders geartet als die der heutigen Performance-Künstler. Die Aktionskünstler der Gegenwart sind sich selbst genug. Uecker aber dokumentiert mit seinen Aktionen den Umbruch des Bewusstseins in der Kunst: Ziel ist nicht das Kunstobjekt, sondern der Künstler mit seiner moralischen Stärke. So einer wie er setzt sich ein, seift sich auch ein, wenn es sein muss, riskiert „Haut und Haare“, wie sich seine Aktion beim Friseurmeister Ruckes nannte. Er reist in den Iran, als sich noch kein Künstler dorthin wagte. Er lässt sich von Peking ausladen und kommt wieder. Die Leiterin der Kunstsammlung NRW, die am Freitag seine Retrospektive eröffnet, nennt ihn einen der politischsten Künstler der Gegenwart.

Der Lebensweg dieses Mannes ist anders als der seiner Zero-Kameraden. Er wuchs auf der Halbinsel Wustrow auf, wo auf einer Militärbasis zugleich die Junkers landeten, wenn sie heil runter kamen. Seine Jugend verbrachte er zwischen den Manövern, dem Meer und hinter dem Pflug. Seit Jahren kämpft er dafür, dass seine Hütte direkt an der Ostsee nicht abgerissen wird. An diesem Strand hatte er 1945 die Leichen des Flüchtlingsschiffs „Cap Arcona“ verscharrt.

Der Ossi wurde Maler und Reklamegestalter, erstellte politische Reklame, versah HO-Schaufenster mit der Ideologie des dialektischen Materialismus und dekorierte die „Welt der Werktätigen“. Er durfte als förderungsbegabtes Kind aus der Arbeiter- und Bauernklasse studieren, wurde Delegierter des Volkes und FDJ-Funktionär.

Erst am 17. Juni 1953 wurde sein Vertrauen in die Politik des Ostens erschüttert. Er floh. Im November 1953 landete er in Düsseldorf und blieb. Er hielt sich mit Karikaturen für den „Michel“ über Wasser, jobbte beim Schlussverkauf, übernachtete auf einer Matratze in der Kunstakademie und übernahm 1957 eine Scheune in Oberkassel.

1958 heiratete er Inge Hardung, eine Studentin der Akademie, mit der er zwei Kinder hat. Er stand in der Gerresheimer Glashütte am Fließband, gehörte zu den Restauratoren von Schloss Kalkum und hantierte erstmals mit einem Nagel, den er an den Rand eines Ölbildes in den Keilrahmen jagte.

Uecker schob 1981 „verletzte Särge“ in die Kunsthalle Düsseldorf, um gegen die Raketenaufrüstung zu protestieren. Sein mit Nägel behängter New York Tänzer“, der sich auf Knopfdruck dreht, bedroht den Betrachter, der sich ihm unachtsam nähert.

Aber er ist nicht nur Nagelkünstler. Aus Freude an der Musik stattete er 1974 den Fidelio für Bremen, 1976 den „Parsival“ für Stuttgart, 1979 den „Lohengrin“ für Bayreuth, 1982 den Tristan in Stuttgart, 1989 die Basseriden, 1999 die Matthäuspassion für die Deutsche Oper Berlin aus. Zum 200. Jubiläum des „Wilhelm Tell“ (2004) arbeitete er auf dem Rütli mit mächtigen, zugespitzten Baumstämmen und dem Dramaturgen Felix Ensslin, Sohn von Gudrun Ensslin. Er ließ eine Tribüne für 2500 Leute mit einem Hubschrauber auf die Hochalm bringen und legte eine Aufführung hin, die in die Annalen der Theatergeschichte einging. Der Tell wurde zum Urbild des Vereinten Europa.

Seit 1988 sitzt er mit seinem Atelier an der Kaistraße im Düsseldorfer Hafen und ärgert sich über den Kitsch, den der ehemalige Oberbürgermeister Dirk Elbers von Rosalie an einer Mauer anbringen ließ. Von dort und von seinem Haus an der Düsseldorfer Straße regiert er die Welt mit seiner Kunst. Dazu gehören auch Aquarelle, die er als „Liebesbriefe an die Natur“ bezeichnet. Er, der atheistisch erzogene Künstler aus der DDR, sucht nach einer Gegenwelt. Deutlich wird dies in seinen meditativen Arbeiten, den Sandmühlen etwa, die wie Zeitspiralen ihre Runden drehen. Eine ewige Bewegung im Sand.

Seine Kunst ist disparat. Sie setzt Aggressionen frei, und sie wirkt wie eine Meditationsübung. Aber immer steckt dahinter eine Botschaft, sei es auf die Brandanschläge in Solingen oder die „Friedensgebote“ in Arabisch, Hebräisch und Lateinisch.

Uecker ist fast 85 Jahre alt, aber von einem Wolkenkuckucksheim will dieser wache Zeitgenosse noch lange nichts wissen. Er organisiert mit Christine Steinfeld, seiner Ehefrau in zweiter Ehe, mit der er den Sohn Jacob hat, seine Ausstellungen. Ein Heer von Handlangern, wie es bei anderen Künstlern üblich ist, ist bei ihm nicht nötig.

Ein Nachfahre von Bertolt Brecht, ein Mitstreiter von Joseph Beuys ist er. Einer der letzten, die sich einmischen. Vom Deutschen Idealismus eines Otto Piene hält er nichts. Nun ist er mit Heinz Mack der letzte Mohikaner aus der Frühzeit der Düsseldorfer Kunstszene nach dem Krieg. Mack wie Uecker können noch immer herzlich lachen. Uecker tut es wie in jenem Jahr 1961, als er mit einem Besen und einer Zinkwanne voller weißer Farbe vor der Galerie Schmela auftauchte und die „Zone Zero“ auf den Bürgersteig pinselte. Seine Freude galt den Leuten, die durch die Farbe liefen und die Spuren durch die Altstadt trugen. Heute trägt er sein Werk selbst durch die Welt, von Asien über Amerika und Afrika bis nach Europa.

Und der Nagel? „Es ist ein impertinentes Vehikel, das in seiner Verwendung auf Aufmerksamkeit trifft.“

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