Fotografie: Tschernobyl ist heute wieder Heimat

Andrej Krementschouk reist seit drei Jahren in das Katastrophengebiet. Seine Bilder werden jetzt in Düsseldorf gezeigt.

Düsseldorf. Anfangs trug Andrej Krementschouk den Geigerzähler immer bei sich. Er bewegte sich vorsichtig durch die Seenlandschaft der Kiewer Oblast, deren klimatische Verheißung von milden Wintern und warmen Sommern nach Ferien klingt und so gar nicht nach Tschernobyl, das inmitten dieser Landschaft liegt. Im mittlerweile dritten Jahr bereist der 38 Jahre alte Fotograf Krementschouk die ukrainische Stadt, von der seit der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima wieder beinahe so häufig die Rede ist wie 1986, dem Jahr des Supergaus.

Clara Sels kann bis heute nicht verstehen, dass Andrej Krementschouk eines Tages den Geigerzähler weglegte und sich seither ungeschützt in dem nach wie vor kontaminierten Gebiet aufhält. Die Galeristin hat den Fotografen in Leipzig entdeckt. 2009 stellte sie seine Arbeiten zum ersten Mal in Düsseldorf aus. Damals hatte Krementschouk ein Jahr lang in Russland mit einer Gruppe Männer und Frauen gelebt. Allesamt Gestrandete und vom Schicksal wundgescheuerte Persönlichkeiten, die, wie aus der Welt gefallen, in einem entlegenen Haus ein Leben jenseits der gesellschaftlichen Ordnung führten.

„Andrejs Bilder entstehen unmittelbar am Leben“, sagt Clara Sels. „Seine Werke haben nicht den komplizierten Überbau, den andere Künstler nutzen. Sie sind direkt und emotional.“

Den Grenzgänger Krementschouk enthüllt kein Werk so deutlich wie die Tschernobyl-Reihe. Die Ausstellung mit dem Titel „Heimat — Tschernobyl“ wird am 8. April in der Clara Maria Sels Galerie eröffnet und erzählt Geschichten über Menschen, die ihre Sorge vor Krankheit und Tod überdecken mit der Sehnsucht, nach Hause zurückzukehren.

Im Umland von Tschernobyl und in Pripyat entstanden die Fotos. An Orten, die einmal einen Alltag hatten und nach der nuklearen Katastrophe zu Geisterstädten wurden. Heute leben dort noch einige wenige hundert Menschen, Pflanzen überwuchern die zerstörten Häuser und Industrieanlagen.

„Aber Andrej drückt nicht auf die Tränendrüse“, sagt Clara Sels. „Er bringt einen tiefergehenden Schmerz zum Ausdruck, der Hoffnung braucht. Sonst kann man nicht mehr weiterleben. Das Prinzip Hoffnung kommt in Tschernobyl zum Äußersten.“

Andrej Krementschouk reist nach wie vor in die Ukraine, und man wird den Eindruck nicht los, als könne er es nicht über sich bringen, die Menschen in Tschernobyl alleine lassen.

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