Festival: Tänzer spielt mit den Sinnen

Gleich zum Auftakt präsentierte das zweiwöchige Tanzfest „Temps d’images“ zwei eindrucksvolle Choreografien.

Düsseldorf. Wie nimmt unser Auge den tanzenden Körper wahr: als bewegte Masse? Als flottierenden Umriss? Oder als modellierten Widerschein?

In weißer Hose und Shirt steht der japanische Tänzer und Choreograf Hiroaki Umeda im Zentrum der Tanzhaus-Bühne. Geräusche addieren sich zu Rhythmen. Waagrechte Lichtlinien laufen über eine Projektionsfläche und seinen Körper, der mit fließenden organischen Bewegungen einen Kontrapunkt zur strengen Geometrie setzt. Vertikale Lichtadern strömen über den Torso des Tänzers und lassen an Nerven- oder Blutbahnen denken.

Hiroaki Umedas Choreografie "Adapting for Distortion", die zum Auftakt des Festivals "Temps d’images" im Tanzhaus zu sehen war, präsentiert sich als faszinierendes Spiel mit der Wahrnehmung. Allein mit den Mitteln des Lichts werden hier die Grenzen des Tanzkörpers bis zu seiner Auflösung ausgelotet. Den historischen Rahmen dieser Erkundung deutet Umeda an, wenn er sich als Leonardos menschliche Proportionsstudie in einem Lichtraster positioniert.

Doch plötzlich beginnen die Linien sich wie in Einsteins Relativitätstheorie zu krümmen und der Körper scheint seine natürlichen Grenzen im Raum aufzulösen. Zusammen mit der nicht minder eindrücklichen Choreografie "While going to a condition" offerierte der 32-jährige japanische Choreograf damit gleich zwei tanzästhetische Leckerbissen zu Beginn des Festivals.

Zum vierten Mal veranstaltet das Tanzhaus seine "Temps d’images" (deutsch: Zeit der Bilder), die noch bis zum 24. Januar den Schnittstellen zwischen Tanz, Theater, Film und Medienkunst nachspüren sollen. In den Studios sind sechs Video-Installationen zu sehen; darunter das wunderbar leichtfüßige "Wind9_III" der Düsseldorfer Künstlerin Susanne Fasbender, die mit projizierten Tüchern einen Kelleraum zum Schwingen bringt.

Ein weiteres Highlight des Eröffnungsabends hielt der amerikanische Perfomancekünstler Davis Freeman mit seiner Aktion "Reflection" bereit. Das Procedere ist simpel. Der Zuschauer wird fotografiert; danach tritt er in einen Raum einem Tänzer gegenüber, der das Porträt des Besuchers als Maske trägt.

Schon diese Spiegelsituation bringt unsere Identität ganz spielerisch ins Wanken. Wer bin Ich und wie viele? Ist Ich ein anderer, wie Rimbaud meinte? Davis Freeman als Tänzer legt sich auf den Boden, setzt sich in einen Sessel und imitiert Haltungen des Besuchers. Man vergleicht, fühlt sich beobachtet und blickt doch immer ins eigene Antlitz.

Verstörend wird es, wenn Freeman dann in hündischer Apportierhaltung vor dem Zuschauer kniet. Unwillkürlich denkt man an Tarkowskis "Solaris"-Film, in dem Astronauten ihrem eigenen Unbewussten begegnen. Gerade einmal zehn Minuten dauert diese Performance und ist doch in ihrer Wirkung irritierender als die meisten Langstreckenabende.

Es war ein Festival-Auftakt nach Maß, der mit jeder Vorstellung Lust auf mehr macht. Sollten die "Temps d’images 2009" dieses Niveau halten, darf man sich auf einiges gefasst machen.

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