Düsseldorf Er und sie — im Labyrinth der Zweisamkeit

Tankred Dorsts Kammerspiel „Das Blau in der Wand“ feierte im Central Premiere. Der Dramatiker saß im Publikum.

Düsseldorf: Er und sie — im Labyrinth der Zweisamkeit
Foto: Matthias Horn

Düsseldorf. Zwei Menschen, drei Stühle. Wer sitzt in der Mitte? „Wir waren immer zu dritt. Du und ich. Und der Andere“, sagt der eine von zwei Lebenspartnern. „Wer denn? Sprich doch“, sagt das Gegenüber. „Der Tod“, lautet die Antwort. In Tankred Dorsts Kammerspiel „Das Blau in der Wand“ geht es um Schlüssel-Dialoge im Verlauf einer über mehrere Jahrzehnte währenden Beziehung — vom Kennenlernen bis zum fiktiven Gespräch mit dem verstorbenen Partner.

Nach der Uraufführung am 8. Juni dieses Jahres bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen fand jetzt die Premiere auf der Kleinen Bühne des Centrals am Hauptbahnhof statt. Tankred Dorst (90) und seine Ehefrau Ursula Ehler, Co-Autorin des Stückes, waren bei der Vorstellung persönlich anwesend. Regie führte, wie schon bei den Ruhrfestspielen, der aus Bagdad stammende David Mouchtar-Samorai.

Die Bühne (Heinz Hauser) präsentiert sich puristisch: Neben den Stühlen gibt es kein Mobiliar, abgesehen von gelegentlich von einem schwarz gekleideten älteren Mann (Tänzer und Schauspieler Ralf Harster) mit kleiner Sonnenbrille herbei getragenen Requisiten. Beispielsweise kommt eine Tiffany-Lampe ins Spiel, um kurze Zeit später zu Bruch zu gehen. Der Rest der Bühne wird ausgefüllt durch ein symmetrisch angeordnetes und sich perspektivisch nach hinten verjüngendes weißes Netz im dunklen Raum. Die hellen Stränge wirken dabei recht abstrakt, lassen aber Assoziationen zu. Man könnte sich glatte Fassaden einer Großstadt vorstellen oder ein Labyrinth.

In dieser Umgebung jedenfalls bewegen sich ein Mann und eine Frau im ständigen Dialog. Raum, Zeit und Alter der Figuren sind unkonkret. Andeutungen lassen erahnen, dass man sich irgendwo gegen Ende des 20., zuletzt womöglich auch im Heute des frühen 21. Jahrhunderts befinden kann. Am Anfang ist die Frau (Karin Pfammatter) schwanger, allerdings nicht von ihrem späteren Partner (Heikko Deutschmann), den sie in der Eingangsszene gerade erst kennenlernt.

Das Stück schreitet voran, und langsam entwickeln sich die Bilder der beiden Figuren. Er ist engagierter Pazifist und Schriftsteller, sie Mutter eines Kindes, das einmal zum Entsetzen des Stiefvaters plötzlich eine alte Handgranate mit nach Hause brachte — wie in Gesprächen über vergangene Geschehnisse zur Sprache kommt. Die beiden Hauptdarsteller befinden sich im mittleren Alter, wirken freilich zu jung, als dass man ihnen das 80. Lebensjahr abnehmen würde. Heikko Deutschmann beispielsweise ist groß gewachsen mit allenfalls grau melierten Haaren. Seine Stimme ist voll und baritonal, das Auftreten selbstbewusst. Die graue Strickjacke evoziert immerhin eine gewisse Betagtheit. Aber das Alterungslose des Paares passt wiederum zum bekannten Phänomen, dass man die eigenen schleichenden Veränderungen kaum mitbekommt.

Jedenfalls ist das Stück exzellent besetzt. Deutschmann verkörpert überzeugend den zum Egomanischen neigenden Künstler, Karin Pfammatter die ironisch distanzierte Frau, die mal über den Mann spotten, ihn beschimpfen aber auch inniglich lieben kann. Und ständig schleicht der schwarz gekleidete bleiche Mann um das Paar herum, führt gar zum handfesten Ehekrach bei leiser Musik ein Tänzchen auf, fungiert aber meist sozusagen als stummer Diener. Die Szenen bleiben jedoch abstrakt, die Handlung entsteht vor allem im Kopf des Zuschauers, der zu einer inneren Reise durch die Welt zwischenmenschlicher Beziehungen angeregt wird.

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