Der Stammtisch Düsseldorfer Dichter

Autor Klas Ewert Everwyn las im Heine-Institut aus seinem Buch über die Literaten-Szene rund um die Kneipe Fatty’s Atelier.

Düsseldorf. Eine alte Maler-Pinte namens „Fatty’s Atelier“ an der Hunsrückenstraße avancierte in den frühen 60er Jahren zum Szenelokal mit wöchentlichem Stammtisch junger Literaten. Einer von ihnen, der Autor Klas Ewert Everwyn, hat seine Erinnerungen an die Geschehnisse rund um das Altstadt-Etablissement und die „Gruppe 61“ in einer Dokumentarischen Erzählung festgehalten.

Im Anschluss an den Bücherflohmarkt im Heinrich-Heine-Institut am Tag des Buches las Everwyn nicht nur aus seinem neuen Buch, er sang auch ein kleines Schmählied auf die Stadt „N“, wo der heute 85-Jährige in der Verwaltung tätig war. Gemeint ist das benachbarte Neuss, aber den Stadtnamen spricht Everwyn nicht aus. Er singt viel mehr: „,N’ heißt die Stadt, und ich hab sie so satt“. „Sie sollen Ziegelmehl bestellen“, hatte ein Vorgesetzter dem damals jungen Beamten zu verstehen gegeben, nachdem herausgekommen war, dass dieser sich in der Öffentlichkeit literarisch betätigte. Damit war „N“ für Everwyn gestorben. Er sei froh gewesen, endlich in Düsseldorf beruflich wie literarisch Fuß fassen zu können, sagt der gebürtige Kölner ostfriesischer Abstammung.

Die Dichter-Szene verkehrte nicht nur in Fatty’s Atelier, literarische Kneipenkultur blühte auch in den Uel, Destille, im Downtown, Spoerri und linksrheinischen Sassafras. Dort verkehrten die Mitglieder der „Gruppe 61“ in lockerer Anlehnung an die bekannte unmittelbar nach dem Krieg gegründete „Gruppe 47“. Zum Sujet der Gruppe 61 habe vor allem die industrielle Arbeitswelt gehört, sagt Everwyn. Doch gab es auch andere Themen und ein Traum-Ziel: Das hieß „WDR“. Beim Radiosender könne man mit Hörspielen ein Vermögen verdienen, habe es in Düsseldorfer Schreiberkreisen die Runde gemacht.

Wirt von Fatty’s Atelier war derweil der Düsseldorfer Landschaftsmaler Paul Brandenburg, der aus der Pinte eine echte Künstlerkneipe machen wollte. Und dazu gehörte ein Künstlerstammtisch, gehörten regelmäßige Lesungen. Die richtigen Leute dafür zu gewinnen, sei für Brandenburg anfangs nicht ganz leicht gewesen, sagt Everwyn. Doch der damalige Feuilleton-Chef der Düsseldorfer Nachrichten (heute WZ Düsseldorf), Dieter Westecker, habe Brandenburg Namen erfolgversprechender junger Literaten nennen können: Rolf Bongs der eine, Hans Peter Keller der andere. Es bildete sich eine Runde, die sich jeden Donnerstag in Fatty’s Atelier einfand. Weitere damals neue Namen kamen hinzu, darunter auch Dieter Forte. Blicken ließen sich auch Schriftstellerinnen wie Ingrid Bachér und Rose Ausländer.

Zu den kuriosen Einrichtungen in Fatty’s Atelier gehörte unterdessen der „Fatty-Pass“ — das war eine Art Stammgast-Ausweis, der zu zehn Prozent Rabatt auf Getränke berechtigte. Anfangs habe er am Stammtisch niemanden gekannt, erzählt Everwyn. Schnell habe man sich durch Fragen und Antworten beschnuppert. Und sogleich gehörte er zum Club. Das machte sich schon bei der ersten Bier-Bestellung bemerkbar. Everwyn: „Endlich durfte ich ein Bier bestellen, doch jemand rief: ‚Sie benötigen dafür einen Ausweis’, und ein anderer sagte: ‚Künstlerpass’.“ Die Rabattaktion sollte sich als überaus kompliziert herausstellen, erzählt Everwyn, der 1969 die Düsseldorfer Sektion des Verbands Deutscher Schriftsteller (VS) gründete. Der Abend im Heine-Institut rief all diese Entwicklung in der Düsseldorfer Literaturszene der 60er Jahre wieder in Erinnerung.

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