Küchenchef an Reibekuchen

Gemeinsam mit Michael Reinhardt, Chef der Brasserie 1806, war die WZ in der Ausstellung „Eating the Universe“ – Probe schnuppern.

<span style="font-weight: bold;">Düsseldorf. Mit Abstand sieht das Gebilde von Judith Samen aus wie eine psychedelisch angehauchte Tapete aus den 70ern. Aus der Nähe entpuppen sich die Kreise an der Wand aber als Lieblingskinder der rheinischen Küche: Rievkooche. Die Düsseldorfer Künstlerin hat für die Ausstellung "Eating the Universe", die bis Ende Februar in der Kunsthalle zu sehen ist, 700 Kartoffelplätzchen buchstäblich an die Wand genagelt, einen Tisch samt Kochplatte und Bratpfanne davorgestellt und die Installation folgerichtig "Reibekuchenwand" genannt.

Mit Reibekuchen kennt sich Michael Reinhardt bestens aus, auch wenn der Küchenchef der Brasserie 1806 im Breidenbacher Hof die Dinger niemals an Wände pappen, sondern bestenfalls mit einem Klecks Crème Fraiche und Räucherlachs kombinieren würde. Gemeinsam mit der WZ schaut sich der 37-Jährige die Ausstellung an - Kunst aus und mit Lebensmitteln, kommentiert vom Lebensmittelprofi.

"Eine witzige Idee" attestiert Reinhardt der Künstlerin. Dass mancher von Samens Reibekuchen arg dunkel geraten ist, nimmt der Küchenchef achselzuckend hin, schließlich arbeitet die Künstlerin ja nicht in seiner Küchenbrigade. Immerhin bedient die Museumswand nicht nur einen Sinn, sondern gleich zwei. Reinhardt: "Die riechen sogar!" Allerdings so wie ein Wochen altes Regionalgericht aus Kartoffeln und Fett eben riecht.

Im gleichen Raum hat auch Thomas Rentmeister seine Installation aufgebaut. Genauer gesagt hat er sie aufgetürmt. Das Werk hat keinen Titel, aber besteht aus einem Berg von 7,5 Tonnen Industriezucker, unter denen ein Einkaufswagen begraben ist. "Verdammt viele Kalorien", findet Reinhardt zu Recht und schiebt die Museumsfrage aller Museumsfragen hinterher: "Ist das Kunst?" Die schiere Menge beeindruckt den Küchenchef keineswegs. "Ich schätze, wir haben im vorigen Jahr die gleiche Menge bei uns im Hotel verbraucht."

Eine Installation von Sonja Alhäuser trifft Reinhardts Feinsinn auf den Punkt. "Das nenne ich Kunst!" Punkt und Basta. "Das kleine Willkommen" hat die Künstlerin ihre Skulptur aus Butter und Ziehmargarine in einer beleuchteten Kühlvitrine genannt. "Toll gemacht", findet der Koch. Butterskulpturen fertigen er und seine Patissiers gelegentlich selbst an - etwa um Büfetts damit aufzupeppen. Gut zwei Tage benötigen Profis für eine der fettigen Installationen.

Kummer macht dem Küchenchef aber die geringe Halbwertzeit solcher hochkalorischen Kunstwerke. Sie werden entsorgt, sobald die Tische leergefuttert sind. "Wenn man bedenkt, dass gerade in Haiti Menschen sterben, weil sie nichts zu essen haben - und wir machen aus Lebensmitteln Kunst."

Dass sein Arbeitgeber so etwas ist wie ein Tempel der Überflussgesellschaft, weiß Reinhardt selbst. Verschwendung ist ihm dennoch oder gerade deswegen ein Graus. Und dazu gehört für ihn tendenziell auch Kunst aus Nahrungsmitteln. "Die sind doch in ihre natürlichsten Form am schönsten", findet der Küchenchef. Ein qualitativ hochwertiges Produkt bis zur Unkenntlichkeit zu verändern, überlässt er der molekularen Fraktion seines Berufsstandes. "Wieso soll ich einen handgeschöpften Büffelmozarella in ein Schäumchen verarbeiten - das ist Blödsinn."

Sein Lieblingsstück in der Kunsthalle hat Reinhardt schnell ausgemacht. "Cups" ein Tisch voller Gläser, die irgendwann von Prominenten benutzt, seitdem allerdings nicht mehr gereinigt wurden. "Das ist doch eine klasse Idee für eine Szene-Bar", findet der Kochprofi. Große Begeisterung hat die Schau bei ihm allerdings nicht ausgelöst. "Meine Azubis schicke ich lieber zu einer Messe."

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