Karin Kortmann: Kandidatin auf Helmut Kohls Spuren

Erwin-Nachfolge: Besuch im Bonner Büro der SPD-Bewerberin. Sie arbeitet, wo Helmut Kohl einst die Lage besprach.

Düsseldorf. Sie ist eine Überzeugungstäterin. Auch am Kölner Hauptbahnhof: Nur wenige Augenblicke bleiben zum Umsteigen, eilig hasten die Reisenden von einem Zug zum anderen. Auch Karin Kortmann. Doch am Mülleimer hält sie inne, läuft einmal drumherum, sucht den Einwurf für Altpapier. Politisch korrekt entsorgt sie ihren leeren Kaffee-Pappbecher, wo der Journalist den seinen zuvor in aller Eile einfach in den Restmüll geworfen hat. Umweltschutz kommt vor Anschluss.

Die Staatssekretärin ist auf dem Weg nach Bonn. Dort hat das Entwicklungshilfeministerium seinen Hauptsitz. Geleitet wird es von Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul - und Karin Kortmann. Ein Fahrer der Behörde holt sie am Bahnhof ab und bringt sie ins ehemalige Kanzleramt. In diesem geschichtsträchtigen Bau - von Helmut Schmidt als "Rheinische Sparkasse" verunglimpft - arbeiten 500 Menschen daran, dass es den Armen in der Welt etwas besser geht.

Für den Beobachter ist das freilich nur eine abstrakte Vorstellung. Kann es wirklich sein, dass in diesem zweckmäßigen Verwaltungsbau mit langen Fluren, holzvertäftelten Wänden, blauem Teppichboden und reichlich Beamten-Mief Hilfe für die Slums in Lateinamerika organisiert wird? Was haben hungernde Kinder in Afrika davon, dass Karin Kortmann heute im ehemaligen Sitzungssaal der Bundesregierung Diplomaten aus Österreich und der Schweiz zu Koordinierungsgesprächen empfängt?

Eine ganze Menge, glaubt jedenfalls Kortmann. "Das sind die jeweiligen Gouverneure der regionalen Entwicklungsbanken. Wir reden darüber, wohin die Banken in Zukunft steuern sollen", erklärt die 49-Jährige. Im Klartext: Es geht darum, welche Entwicklungsprojekte die internationale Gemeinschaft bevorzugt finanzieren soll.

In Zentralamerika etwa gehe es um den Aufbau sozialer Sicherungssysteme, in Asien um Perspektiven in der Stadtentwicklung - in den wachsenden Mega-Cities soll die Versorgung mit Trinkwasser und Energie sichergestellt werden. Sich derart komplexe Themen anzueignen, bereite ihr kein Problem. "Ich bin eine Aktenfresserin." Und sie glaubt: "Was wir hier besprechen, hat konkrete Auswirkungen."

Davon überzeugt sich Kortmann regelmäßig vor Ort. Rund acht Auslandsreisen absolviert sie jährlich, seit sie 2005 den Job übernahm. Weil es dabei immer auch viele offizielle Termine zu absolvieren gilt, startet sie jeden Sommer zusätzlich zu einer "einwöchigen Schwerpunktreise". Dann stehen Land und Leute im Mittelpunkt, nicht die Großkopferten. Dieses Jahr freilich muss die Sommer-Dienstreise ausfallen. Kortmann wird in Düsseldorf gebraucht. Von ihrer Partei. Die hat sie zur Oberbürgermeister-Kandidatin gewählt. Itter statt Indonesien. Klinkenputzen statt Wohltaten verteilen.

Man mag kaum glauben, dass diese Frau sich das freiwillig antut. Zumal sie auch bisher schon nicht an Unterbeschäftigung litt, wie ein Blick in ihren Terminkalender beweist. Besonders arbeitsintensiv sind die Wochen in Berlin, wenn das Parlament tagt. Die Bundestagsabgeordnete arbeitet dann an ihrem Büro an der Stresemannstraße, dem zweiten Dienstsitz des Ministeriums mit rund 100 Mitarbeitern. Von ihrem Schreibtisch aus schaut sie über die Stadtmitte Richtung Alexanderplatz. Ein Anblick, den sie allerdings nur selten genießen kann. Ein Termin jagt den anderen: Neben der eigentlichen Arbeit steht auch noch jede Menge Parteipolitik auf dem Programm. Treffen der Fraktion, der NRW-Abgeordneten, der parlamentarischen Linken innerhalb der SPD etc. Und die wenigsten davon dürften unterhaltsam sein. "In Berlin arbeite und schlafe ich nur", sagt Kortmann. "Das ist reine Maloche, Arbeit hoch drei."

Trotzdem: Die Arbeit macht ihr Spaß. Die im Ministerium besonders. Kein Wunder: Als Staatssekretär ist man wichtig, der Zugriff auf die Fahrbereitschaft nur eine von vielen Privilegien. Die Bonner Arbeitsräume gehören zweifellos dazu.

Der Bau mag schlicht sein, doch er ist wunderschön gelegen: Von ihrem Büro aus hat sie einen herrlichen Blick auf das Palais Schaumburg, dem ehemaligen Dienstsitz des Kanzlers. Der hielt die montägliche kleine Lagebesprechung in dem Dienstzimmer ab, das heute Kortmanns Büro ist. Sie sagt: "Ich habe das schönste Zimmer im ganzen Haus." Im ehemaligen Sitzungssaal des Bundeskabinetts sitzt sie bei offiziellen Terminen auf dem Platz des Finanzministers. Den des Bundeskanzlers überlässt sie Gästen. Dessen ehemaliges Büro würde sie gern in den historischen Zustand zu Helmut Kohls Zeiten zurückversetzen - inklusive Aquarium und Mineraliensammlung im Regal. Sie hat bereits in Oggersheim anfragen lassen, ob Kohl seinen alten Schreibtisch dafür zur Verfügung stellen würde.

Ob der Plan gelingt, hängt auch vom 31. August ab. Sollten die Düsseldorfer Kortmann dann zur Oberbürgermeisterin wählen, müsste sie ihren Schreibtisch in Bonn räumen und ins Rathaus verlegen. Ist das eine verlockende Perspektive? Ein hohes Staatsamt aufzugeben, um Verwaltungschefin einer Kommune zu werden? "Ja, das wäre eine Herausforderung für mich", sagt sie. "Ich bin seit zehn Jahren im Bundestag. Was wir dort entscheiden, ist oft sehr abstrakt. In der Kommune geht’s um die konkrete Umsetzung. Das finde ich ganz spannend. Und ich glaube, dass ich das kann." Große Politik fängt eben im Kleinen an. Manchmal auch mit einem Papp-Becher

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