Jugendrichter: „Ich bin kein harter Hund“

Jugendrichter Edwin Pütz lässt manchmal sogar Aufsätze schreiben, hin und wieder muss er jedoch durchgreifen.

Düsseldorf. Strafe oder Verständnis? Fördern oder Fordern? Eingliedern oder wegsperren? Edwin Pütz hat zehn Jahre Erfahrung als Jugendrichter, zudem leitet er seit fast fünf Jahren die Jugendarrestanstalt (JAA) in Gerresheim. Er arbeitet täglich im Spannungsfeld dieser Fragen. Und er hat inzwischen eine Ahnung, was hilft, um kriminelle Jugendliche von der schiefen Bahn zu holen.

Herr Pütz, was haben Sie in zehn Jahren als Jugendrichter über Jugendkriminalität gelernt?

Edwin Pütz: Sie ist männlich. Sie spielt sich hauptsächlich bei Jungs ab, die auch schulisch oder beruflich Probleme haben. Bei denen, die ich als Richter immer wieder sehe, gibt es meist auch große Erziehungsdefizite. Der Elfjährige soll um acht zu Hause sein, kommt aber erst nach Mitternacht — keine Konsequenzen. Das setzt sich fort, wenn er strafmündig ist. Der Jugendrichter ist das letzte Glied in einer Kette von Erziehungsversuchen, die nicht funktioniert haben. Er soll es dann richten.

Vielen gilt das deutsche Jugendstrafrecht als zu nachsichtig. Was sagen Sie dazu?

Pütz: Das Strafrecht ist mit wenigen Ausnahmen ausreichend. Bisweilen wird es aber zu nachsichtig angewendet. Aus Angst, dem Jugendlichen zu weh zu tun. Dann gibt es eben noch einmal Arbeitsstunden und nochmal Arbeitsstunden.

Statt ein paar Tagen oder Wochen im Jugendarrest?

Pütz: Ganz genau. Denn viele Jungs spüren im Arrest zum ersten Mal, dass sie etwas Falsches getan haben. Andere Maßnahmen haben ja eben nicht gewirkt.

Aber funktioniert Strafe als Mittel, um ein meist seit frühester Kindheit schiefgelaufenes Leben auf die rechte Bahn zu bringen?

Pütz: Es funktioniert häufiger, als gemeinhin gedacht wird. Natürlich können wir etwa innerhalb weniger Wochen im Arrest keine jahrelang fehlende Erziehung ausgleichen. Auch nicht das soziale Umfeld verändern. Aber wir können einen Stein ins Rollen bringen, wir geben Zeit und Anlass zum Nachdenken. Im vergangenen Jahr hatten wir einen 14-jährigen Intensivtäter hier. Er hatte schon mit 13 Jahren etliche Verfahren bei der Polizei und wurde jetzt als gerade Strafmündiger direkt zu drei Wochen Arrest verurteilt. Er war davon so nachhaltig beeindruckt, dass er seither nicht wieder straffällig geworden ist.

Aber der Arrest ist ja gewöhnlich das letzte Instrument vor der Haft. Welchen Spielraum haben Sie darüber hinaus?

Pütz: Ich kann als Jugendrichter ganz viel machen — das ist der große Vorteil des Jugendstrafrechts. Klar, Arbeitsstunden sind der Standard. Aber es muss eben nicht immer Standard sein. Manchmal denke ich, ein Jugendlicher braucht ein Anti-Aggressions-Training oder einen Kurs zum Umgang mit Drogen. Letztens habe ich einen 18-jährigen Gymnasiasten, der zweimal betrunken kleinere Delikte begangen hatte, einen Aufsatz schreiben lassen: „Mein Leben und der Alkohol“ — acht Seiten, handschriftlich. Er sollte seinen Alkoholkonsum reflektieren. Wenn aber von den Eltern schon Konsequenzen gezogen wurden, die für den Jugendlichen spürbar sind, muss ich oft gar nicht mehr viel tun, muss nur noch ermahnen. Die Hauptverhandlung und die Erfahrung, selbst Angeklagter zu sein, ist für viele schon beeindruckend genug.

Gibt es denn für die „leichteren“ Fälle genügend Angebote in Düsseldorf?

Pütz: Die Jugendberufshilfe hat ein neues Projekt, bei dem Jugendliche, die Arbeitsstunden professionell begleitet ableisten, sofort zu schulischen oder beruflichen Perspektiven beraten werden. Beim Umweltschutzprogramm der Awo läuft es ähnlich. Professionelle und gut strukturierte Angebote gibt es sonst wenig — obwohl wir damit schon vergleichsweise gut aufgestellt sind.

Gerade bei Jugendlichen gilt es als wichtig, dass die Strafe dicht auf die Tat folgt. Gibt es oft beschleunigte Verfahren in Düsseldorf?

Pütz: Fast gar nicht. Ich weiß auch nicht warum. Beschleunigte Verfahren sind bei kleiner und mittlerer Kriminalität sehr sinnvoll. In vielen Fällen endet ein Verfahren zwar auch jetzt in drei bis fünf Monaten. Aber oft dauert es auch zu lang — ein Jahr oder mehr. Eine Entscheidung nach vier bis acht Wochen ist natürlich besser. Das bedeutet aber erst einmal mehr Aufwand und die Amtsgerichte laufen schon bei 120 Prozent.

Fazit: Wie sieht in Ihren Augen die perfekte Jugendstrafe aus?

Pütz: Eine frühzeitig angewandte, individuell zurechtgeschnittene und konsequente Maßnahme — ich spreche bewusst nicht von Strafe — kann eine kriminelle Karriere am ehesten verhindern. Ein Erwachsener, der einmal betrunken fährt, gibt sofort den Führerschein ab. Aber gerade bei Jugendlichen, die noch eher beeinflussbar sind, heißt es lange nur: „Dududu!“ Ich bin kein harter Hund, aber ich kann und muss auch konsequent sein und spürbar durchgreifen. Und wenn ich dem Jugendlichen mein Urteil erkläre — was ich jedes Mal so tue, dass er es versteht —, habe ich nicht selten ein Danke gehört.

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