Interview mit einem Sprayer: „Ich mach’s aus Liebe zur Farbe — und für den Kick“

Max T. erzählt von illegalen Graffiti, der Flucht vor der Polizei und der Suche nach dem Nervenkitzel.

Düsseldorf. 100 000 Euro gibt die Stadt Düsseldorf jährlich aus, um Graffiti von städtischen Gebäuden entfernen zu lassen. Auch die Rheinbahn ist beliebtes Ziel der Szene: An durchschnittlich 50 Fahrzeugen toben sich die Sprayer täglich aus. Rund eine halbe Million Euro zahlt die Rheinbahn jährlich, um die Fahrzeuge, die neben Düsseldorf auch den Rhein-Kreis Neuss und den Kreis Mettmann bedienen, zu reinigen. Eine weitere Million Euro hat die Rheinbahn in spezielle Lackbeschichtungen an 250 Bussen investiert, um die Reinigung zu erleichtern. Der Düsseldorfer Max T. (Name geändert) ist in der Graffiti-Szene zu Hause — für ihn ist Sprayen kein Vandalismus, sondern Kunst.

Herr T., wann hatten Sie Ihre erste Sprühdose in der Hand?

Max T.: Ich war 13, als ich das erste Mal in Kontakt mit der Szene kam. In der Schule hatte ich jemanden kennen gelernt, der mir zeigte, wie man Buchstaben und Tags macht, erstmal alles nur mit Bleistift. Kurz darauf hat er mich mitgenommen, wir sind rumgelaufen und haben Tags an Wände und Brücken gemalt.

Was versteht man unter Tags?

T.: Schriftzüge, mit denen Leute ihren Namen verbreiten, um möglichst viel Ruhm in der Szene zu bekommen und zu zeigen: Ich bin hier gewesen. Damit habe ich eigentlich nichts mehr zu tun. Ich male heute Bilder.

Haben Ihre Eltern das mitbekommen? Immerhin waren Sie noch ein Kind.

T.: Ich habe versucht, es zu verheimlichen, Dosen in der Garage versteckt. Ich habe viel gezeichnet, das haben die schon mitgekriegt. Meine Mom hat mich auch angesprochen, sie fand das natürlich nicht toll. Da ich nie mit der Polizei in Berührung gekommen bin, hat sie es aber toleriert.

Was machen Sie heute?

T.: Bahnen sind die extremste Variante. Ungefährlicher ist es an Wänden, das mache ich mehr. Für Bahnen braucht man mehr Vorbereitungszeit.

Was bereiten Sie vor?

T.: Fluchtwege: Man guckt, wo man abhauen kann. Wann kommen die Bahnen, wie lange bleiben sie stehen, zum Beispiel an Endhaltestellen. Mit wie vielen ist man da — je mehr Leute es sind, desto kleiner ist die Gefahr für den Einzelnen, erwischt zu werden. Mit wenigen ist es andererseits unauffälliger.

Wie läuft das dann ab?

T.: Man wartet auf die Bahn, geht kurz rein, zieht die Bremse, malt außen sein Bild. Das ist Adrenalin pur. Man weiß vorher, wer was malt, wer welche Farbe bekommt. Meistens wird es nicht so schön, man hat nur zwei, drei Minuten Zeit. Hauptsache, es ist groß, leserlich und fährt danach durch die Stadt. Schöner ist es, wenn man nachts rausgeht und Zeit hat. Das reizt mich mehr.

Was sagen die Leute, die in der Bahn sitzen?

T.: Die sagen gar nichts. Es traut sich keiner. Wir sind maskiert, tragen eine Sturmhaube oder Schal und Kapuze. Mittlerweile sind ja überall Kameras.

Wohin gehen Sie nachts?

T.: Zum Beispiel zu Abstellgleisen oder Güterbahnhöfen. Manche brechen irgendwo ein, um ihre Bilder zu malen, das hab ich bisher nicht gemacht. In Wersten gibt’s auch einen Spot, wo nachts Bahnen stehen. Wo viele Bahnen stehen, ist aber meistens auch Wachpersonal, teilweise Videoüberwachung, da muss man vorsichtig sein.

War’s denn schon mal knapp?

T.: Wir haben in Köln mal an einer S-Bahn-Brücke gemalt, ziemlich groß, wir wollten die komplette Brücke machen. Wir hatten Farben für 50 Euro dabei, haben mit einer Rolle vorgestrichen. Als wir mit den Dosen anfangen wollten, kamen Security-Leute, die riefen die Polizei. Das war dort ziemlich abgelegen, wir sind über Felder geflüchtet, die Polizei hinter uns her. Das war eine extreme Situation, echt knapp. Wir hatten Glück und konnten uns in den Büschen verstecken.

Wie funktioniert das technisch an solchen Brücken?

T.: Man arbeitet mit Leitern. Oder mit Farbrolle und Teleskopstange und rollt die Bilder von oben runter. Bombing heißt das, dabei legen die Leute keinen Wert darauf, dass es schön wird, sondern dass sie überall vertreten sind, an den verrücktesten Stellen, an Autobahnen zum Beispiel. Manche klettern auch auf Gebäude oder auf Gerüste.

Was ist der Reiz an der Illegalität?

T.: Adrenalin spielt eine große Rolle. Das ist ein extremer Kick. Wenn einem das Wachpersonal hinterherjagt, das ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das macht Spaß. Und es schweißt zusammen: Man stellt sich den Wecker, geht nachts zusammen raus. Es ist Werbung für mich, wenn ich mein Bild an einen Zug male. An dem Tag fährt mein Zug durch meine Stadt. Meistens nicht lang, gerade an Bahnen werden die Bilder sofort abgemacht. Bei anderer Werbung fragt mich aber doch auch keiner, ob ich das sehen will.

Aber die bezahlen dafür . . .

T.: Das ist kein Grund. Ich nehme mir das Recht raus — dafür ist meine Werbung nicht lange da.

Haben illegale Sprayer kein Unrechtsbewusstsein? Ein Schaden geht schnell in die Zehntausende.

T.: Ich sehe das nicht als Schaden oder Straftat. Ich finde, es gibt Wichtigeres, worum sich die Polizei kümmern könnte. Ich trete keinem persönlich auf die Füße, sondern der Bahn oder der Stadt. Ich male nicht an privaten Hauswänden. Die sollen die Bilder einfach da lassen, dann kostet es sie auch kein Geld. Hätte ich ein Haus, und es würde jemand da ein schönes Bild drauf malen, hätte ich Respekt davor. Mir gefällt diese Kunst. Ich kann aber nachvollziehen, wenn sich Leute über Schmierereien ärgern.

Ist ein Bild an der Bahn, das in zwei, drei Minuten entsteht, keine Schmiererei?

T.: Nein, das sind lediglich einfache Bilder, die schnell gehen.

Fehlt da der Respekt vor dem Eigentum anderer?

T.: Nein. Brücken oder Wände, die der Stadt gehören, sind ja auch ein Stück weit meins.

Sie sagen, Sie treten niemandem persönlich auf die Füße. Die Stadt verwendet aber für die Reinigung Steuergelder.

T.: Dann trete ich mir selbst ja auch auf die Füße — und die Stadt, indem sie meine Bilder entfernen lässt.

Was sagen Freunde, die nicht in der Szene sind?

T.: Ich erzähle nicht jedem davon. Das findet grundsätzlich nicht viel Anklang. Ich würde mir wünschen, dass diese Kunstform mehr anerkannt wird. Ich mache das aus der Liebe zur Farbe. Die meisten haben kein Verständnis dafür, dass man etwas Illegales macht und dafür noch Geld ausgibt. Sie sehen nur die Schmierereien, nicht die schönen Bilder.

Wie sieht’s mit legalen Flächen aus, gibt es genug in Düsseldorf?

T.: Es sollte mehr geben. Gerade junge Leute sind bei vielen Flächen gehemmt. Man findet an legalen Stellen extrem gute Bilder, aber es ist immer eine Beleidigung, wenn einer dein Bild übermalt. Oder da hängen Leute rum, denen man lieber nicht begegnen möchte. Es gab an der Fichtenstraße eine Fläche, an der aber immer viele Punker rumhingen, die dich angepöbelt haben.

Was malen Sie?

T.: Ich hab so meine zwei, drei Schriftzüge, sonst vor allem Pieces, also Bilder. Wenn man immer das Gleiche malt und bei einem Bild erwischt wird, wissen die: Die anderen zehn, die genauso aussehen, hast du auch gemalt.

Hören Sie irgendwann auf?

T.: Vielleicht mache ich auf dem illegalen Weg irgendwann nicht mehr weiter. Ich möchte im normalen sozialen Umfeld bestehen können und werde sicher nicht als Familienvater nachts rausgehen, um Bilder zu malen. Aber ganz aufhören werde ich damit wohl nie.

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