Interview „Ich führe eine private Tradition fort“

Am Strand von Tel Aviv entschied der Düsseldorfer Medizinprofessor Rotem Lanzman, sich zu engagieren. Jetzt organisiert er seinen ersten Jüdischen Ärztekongress.

Rotem Lanzman im Gespräch in der WZ-Redaktion.

Rotem Lanzman im Gespräch in der WZ-Redaktion.

Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Fritz Klestadt wanderte 1933 nach Palästina aus, heimisch wurde der deutsch-jüdische Arzt dort jedoch nicht. Er verließ Israel 1956, um in die Nähe seiner in die USA ausgewanderten Familie zu ziehen. Allerdings unterbrach er seinen Reiseweg, denn er wollte seine Heimatstadt Dortmund gerne noch einmal besuchen. Aus dem geplanten Zwischenstopp wurde schließlich ein ganzes Leben, denn Klestadt beschloss, dabei zu helfen, die Jüdische Gemeinde in Dortmund wieder aufzubauen und ließ sich als praktischer Arzt nieder. Sein Enkel Rotem Lanzman ist der beruflichen Vita des Großvaters gefolgt. Er studierte Medizin, wurde Professor an der Heinrich-Heine-Universität und hat vor einem Jahr den Vorsitz des Bundesverbands Jüdischer Mediziner mit Sitz in Düsseldorf übernommen. In dieser Eigenschaft organisiert er den Internationalen Kongress Jüdischer Mediziner vom 17. bis 19. November in Düsseldorf.

Herr Lanzman: „Wozu ein jüdischer Ärztekongress?“ ist der Titel Ihres Eröffnungsvortrags. Gibt es in der Medizin einen spezifisch jüdischen Zugang?
Rotem Lanzman:
Ja, das ist so. Und es gibt Gründe dafür, warum das wichtig ist. Es existieren etwa moderne Entwicklungen in der Medizin, die von religiöser Seite geklärt werden müssen. Nehmen wir das Beispiel der Leihmutterschaft. Ist ein Kind, das von einer jüdischen Frau ausgetragen wird, automatisch jüdisch oder nicht? Interessant ist auch die Frage, was aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in der Gendiagnostik speziell für Juden bedeuten. Warum haben ashkenazische Juden ein höheres Brustkrebsrisiko? Oder: Kann man Juden aufgrund ihrer Gen-Sequenz identifizieren? Das sind spannende Aspekte, die im Rahmen eines solchen Kongresses bearbeitet werden können. Ein weiterer Grund sind die medizinisch-technischen Entwicklungen in Israel. Darüber ist in Deutschland nur wenig bekannt. Hier schaut man vor allem auf das politische Israel. Wir möchten andere Seiten zeigen.

An welche technischen Errungenschaften denken Sie?
Lanzman:
Die Kapsel-Endoskopie wurde zum Beispiel in Israel entwickelt. Der Patient schluckt eine Video-Kapsel von der Größe einer Vitamintablette, die Aufnahmen vom Inneren der Verdauungsorgane macht. Ein anderes Beispiel: Ein israelisches Unternehmen stellt im Rahmen des Kongresses einen Cannabis-Applikator vor, mit dessen Hilfe der Arzt die genaue Dosierung vorgeben kann. Die Apparatur funktioniert so ähnlich wie eine Nespresso-Maschine.

Es gibt Vorträge zur Versorgung syrischer Kriegsopfer, zu Vitamin-D-Mangel und zu Hauterkrankungen. Das vieldiskutierte Thema der Beschneidung sparen Sie allerdings aus. Warum?
Lanzman:
Es stand im Zentrum des vergangenen Kongresses vor fünf Jahren, als der Gesetzesbeschluss des Bundestags zur religiösen Beschneidung von Jungen debattiert wurde. Dieses Mal geht es um andere Dinge.

Der Bundesverband Jüdischer Mediziner wurde auch mit dem Ziel gegründet, um an die Arbeit jüdischer Ärzte in Deutschland vor der Shoa anzuknüpfen. Was bedeutet Ihnen das persönlich?
Lanzman:
Letztlich führe ich eine private Tradition fort. Mein Großvater war bis 1933 Arzt an der Charité in Berlin und nach dem 2. Weltkrieg als Arzt in Dortmund tätig, und ich habe auch Medizin studiert...

...und sind Vorsitzender des Bundesverbands geworden.
Lanzman:
Das ist eine große Aufgabe. Ein wichtiges Ziel ist es, mehr junge ärztliche Kollegen und auch Studenten als aktive Mitglieder für den Verband zu gewinnen. Dr. Simon Reich, einer der Gründer des Verbands und Arzt in Köln, hat mich vor eineinhalb Jahren in Tel Aviv am Strand angesprochen, ob ich mich nicht im Verband engagieren möchte. Sehr bald standen die Wahlen an, und schon hatte ich den Vorsitz inne.

Als die Düsseldorfer Universität nach dem jüdischen Poeten Heinrich Heine benannt werden sollte, waren vor allem die Mediziner dagegen. Um ein Zeichen zu setzen, hätte der Kongress gut an der Heine-Uni stattfinden können.
Lanzman:
Dass es nicht so ist, hat rein praktische Gründe. Der Veranstaltungsort in Golzheim bietet Tagungsraum und Hotelzimmer und liegt fußläufig zur Jüdischen Gemeinde und zur Synagoge. Es gibt religiöse Teilnehmer, die am Freitag und Samstag nicht mit dem Auto fahren möchten.

Sind Sie sicher, dass alle Referenten kommen? Jetzt, da die AfD 12,6 Prozent der Stimmen erhielt.
Lanzman:
Ja, ich bin sicher, dass alle Gäste kommen werden. Ich muss allerdings sagen, dass die israelische Presse das Wahlergebnis mit Sorge kommentiert hat.

Eine rechtsextreme Partei im Deutschen Bundestag, wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Lanzman:
Sorgenvoll zwar, jedoch habe ich den Eindruck, dass sich die Juden in Deutschland nach wie vor wohlfühlen.

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