Heine-Institut: Wolf Biermann lässt vorlesen

Düsseldorfer Literaturtage: Der Schriftsteller ergänzt Lesung mit Anmerkungen.

Heine-Institut: Wolf Biermann lässt vorlesen
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Düsseldorf. Auf Einladung von Heine-Institut und Heine-Gesellschaft war Wolf Biermann zu den Düsseldorfer Literaturtagen gekommen. Der Alt-Revolutionär, sensible Lyriker und provokante Liedermacher hat die einst speckige Lederjacke gegen ein himmelblaues Hemd getauscht, Schopf und Schnäuzer leuchten weiß. Der Kopf ist helle, sehr helle. Manuel Soubeyrand liest einfühlsam aus den Memoiren seines Ziehvaters mit dem Ratgeber-Titel „Warte nicht auf bessre Zeiten“. Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen lauscht der Brecht-Schüler und Heinrich-Heine-Preisträger Biermann dem Vortrag seiner eigenen Worte, erzählt zwischendurch temperamentvoll aus seinem vollen, wilden Leben, so anschaulich, dass immer auch Bilder auftauchen in den Köpfen seines Publikums, seiner Zeitgenossen aber auch vielen Jüngeren.

Die DDR, in die er mit 16 von Hamburg aus zog, sei für ihn das gelobte Land gewesen, ein Arbeiter- und Bauern-Paradies, aus dem der zu Unbequeme dann 1976 ausgebürgert wurde. In der Hansestadt habe er sich dagegen als „Kind des kommunistischen Proletarier-Adels“ wie in Feindesland gefühlt und einfach keine Schularbeiten gemacht, um damit „den Klassenfeind abzustrafen“. Als er eine 5 in Mathe heimbrachte, strafte Mutter Emma ihn ab: „Dafür ist dein Vater in Auschwitz gestorben, dass Du eine 5 in Mathe mit nach Hause bringst.“

Biermann hat das später verarbeit, indem er den Spruch später selber benutzte, um ein unschuldiges Mädchen in Schutz zu nehmen: „Ich weiß viel besser als Martin Walser, was eine Auschwitz-Keule ist.“ Überhaupt schreckt er nicht zurück vor Kollegen-Schelte, sagt einem nach: „Er war immer dümmer als seine Gedichte. Bei mir ist es umgekehrt — aber nur, weil mich die Musen küssen.“

Immer noch — glaubt man sofort. Überhaupt ist es, als wenn man einen guten alten Freund nach langen Jahren wieder trifft, ihn und sich selbst wieder erkennt

Achtete man beim jungen Biermann mehr auf revolutionäre Inhalte, so ergötzt man sich jetzt an einem jung gebliebenen Geist, beeindruckender Sprachkunst, auf Wortschöpfungen wie zerfreundet, was so viel besser klingt als zerstritten. Oder die Erkenntnis eines alten Haudegens, für den Geduld „die Hure der Feigheit“ ist: „Viele gehen kaputt an Schlägen, die sie nicht ausgeteilt haben.“

Erst vor kurzem hat der 81-jährige noch eine Ballade geschrieben: „Nun kann ich keine Bäume mehr ausreißen — doch Bäumchen pflanzen kann ich noch.“ Unter deren schattigen Kronen möchte man noch Jahre mit ihm sitzen und zuhören — Wolf Biermann, ein Mann wie ein Baum.

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