Frühe Vögel im Wasser

Um 6.30 Uhr öffnet die Münster-Therme, um 6 Uhr stehen schon die ersten Schwimmer im Treppenhaus. Ein Besuch zu früher Stunde.

Frühe Vögel im Wasser
Foto: Sergej Lepke

Die Ersten stehen schon um sechs Uhr im Treppenhaus. Die gepackte Tasche stets griffbereit. Draußen ist es noch dunkel, drinnen ist es hell. Theoretisch könnten die Besucher jetzt schon die Türen der Münster-Therme öffnen. Theoretisch. Einlass ist aber erst um 6.30 Uhr und daran hält man sich. Meist winkt Bademeisterin Henriette Schmitz, die hier alle liebevoll die Entenmama nennen, um punkt halb und d-as ist dann das Zeichen.

Es ist eine ganz eigene Welt morgens früh in den Münster-Thermen und sie folgt ihren eigenen (manchmal unausgesprochenen) Gesetzen. Man kennt sich in der Hallenbadfamilie und meist versteht sich man sich wortlos. Man hat Marotten, Eigenarten und Vorlieben. Man hat seine Rituale. Wer neu in diesen Kosmos eintaucht, der wird zwar willkommen geheißen, aber auch ein wenig argwöhnisch beäugt, denn vieles gilt es zu beachten.

Da wären die Schließfächer. Die meisten frühmorgendlichen Besucher haben schon seit Jahren immer dieselbe Nummer.

Da wären die Kabinen. Auch hier das gleiche Spiel. Nummer 72 ist eben Nummer 72 und die will man dann auch jeden Morgen haben, keine andere. Basta. Der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier. Da wären zu guter Letzt die Bahnen. Die Meisten schwimmen seit Jahren in derselben. Das wird - zumindest meistens — respektiert. Wenn nicht, dann ist Redebedarf. Manchmal auch mit dem Bademeister als Mittler. So ist das: Streit kommt auch in den besten Familien vor.

Jürgen Kesselgrube (62) ist immer einer der Ersten. Die Münster-Therme sind für ihn ein „zweites Wohnzimmer“, die Mitarbeiter und Mitschwimmer, sie sind für ihn die zweite Familie. Nachnamen kennt man, aber Vornamen nennt man. „Vertrautheit“ nennt Jürgen Kesselgrube das. Wer einen Tag nicht dabei ist, der sagt bescheid. Und falls sich jemand nicht abmeldet, dann wird Henriette Schmitz gefragt. Im Zweifelsfall weiß sie, wo jemand steckt.

Jürgen Kesselgrubes Morgen folgt - wie bei den meisten seiner Mitschwimmer - einem festen Ritual. Frühstücken, Tasche packen, umziehen, Bahnen ziehen, duschen, wieder umziehen und dann zur Arbeit. Seit 14 Jahren geht er jeden Tag vor der Arbeit zum Schwimmen in die Münstertherme. Um kurz nach halb sieben steigt er in das Becken. „Das Wichtigste im Leben sind Rhythmus und Routine“ lautet sein Credo. Schönheitsschlaf oder Schwimmen? Für Kesselgrube ist das keine Frage. Im Gegenteil, eine „Strafe“ ist es für ihn, wenn er mal nicht gehen kann. Das frühe Aufstehen ist für ihn kein Problem. Überhaupt, was soll man so lange im Bett. „Leute, macht das mal ein paar Jahre mit Frühaufstehen und Frühschwimmen. Es ist bescheuert, wenn man es nicht macht“, sagt er und taucht wieder unter.

Auch Auguste Dylewski (81) schwimmt seit 40 Jahren jeden Morgen in den Münster-Thermen. Die letzten Jahre ist es, wegen einer Erkrankung, bei ihr bevorzugt das Rückenschwimmen geworden. Ein Leben ohne „ihre Therme“: unvorstellbar. Und wenn man etwas liebt, dann hegt und pflegt man es auch, glaubt sie und bringt immer ihre selbstgemachte Marmelade für Mitarbeiter und Mitschwimmer mit.

Mittlerweile ist es 7.30 Uhr. Jürgen Kesselbach ist geduscht, angezogen und auf dem Weg zur Arbeit. Beim Herausgehen trifft er Volker Gerlach (76), der sich selbst übrigens wiederum nicht mehr zur Früh-, sondern zur zweiten Schicht zählt. Es ist immer ein kurzes Treffen, der Eine kommt, der Andere geht.

„Grüß Dich, Volker!“, ruft ihm Jürgen Kesselbach zu. „Bis Morgen“, winkt dieser zurück. Morgen: Dann werden wieder um sechs Uhr die Ersten im Treppenhaus stehen. Voller Erwartung und Vorfreude. Die gepackte Tasche stets griffbereit, wenn um halb sieben ihre Münster-Therme die Türen öffnen.

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