Erst das Abitur — und dann mal schauen

Die meisten Prüflinge wissen nicht, was sie anschließend machen, sagt die IHK. Die Kammer will sie verstärkt für Ausbildungen gewinnen.

Erst das Abitur — und dann mal schauen
Foto: Bernd Schaller

Düsseldorf. Zurzeit rauchen die Köpfe der Gymnasiasten: Sie stecken mitten in den schriftlichen Prüfungen. In den vergangenen Wochen und Monaten wurde gepaukt — mit klarem Ziel: das Abitur zu machen. Doch wie geht es danach weiter? Eine Frage, mit der sich viele Schüler noch überhaupt nicht auseinandergesetzt haben. Obwohl sie wissen, dass mit der Reifeprüfung nun auch das Ende ihrer Schulzeit vor der Tür steht. „Die meisten wissen nicht, was nach dem Abitur kommt“, sagt Clemens Urbanek, Geschäftsführer der Abteilung Berufsbildung/Prüfungen bei der IHK.

Abiturienten mit einem klaren Plan seien in der Unterzahl, sagt Urbanek. Und das habe zumindest zeitlich auch damit zu tun, dass frühere staatliche Verpflichtungen nicht mehr existierten. „Die Bundeswehr und der Zivildienst als Orientierungsphase sind weggefallen.“

In etwa dieser Zeitraum sei es aber, den die Schulabgänger benötigten, um sich zu finden. „Etwa 16 Monate nach dem Abitur wissen sie, was sie machen wollen“, sagt der Berufsbildungsexperte der Industrie- und Handelskammer (siehe Kasten: Das sagt der Psychologe). Bis dahin werde gerne gereist, zumindest wenn Geld vorhanden sei. Für andere böten sich Praktikaprojekte in der Ferne an. „Work & Travel“ stehe in der Gunst der Hochschulgereiften ganz oben.

Das Problem: Unter dem Druck des Elternhauses, nun mal doch langsam etwas Rechtschaffenes zu tun, falscher spontan gesammelter Eindrücke und weiterhin fehlender Orientierung werde dann ein Studium gewählt, dass einem zwar möglicherweise eine Zukunft verspricht, nicht aber den Fähigkeiten des Abiturienten entspricht. Beispielsweise BWL mit anfangs großer theoretischer Ausrichtung und hoher mathematischer Anforderungen.

Die Folge: Viele werfen das Handtuch und haben dann zusammen mit der anfangs überbrückten Zeit schon etliche Monate in den Sand gesetzt. „Wir haben 30 bis 40 Prozent Studienabbrecher“, sagt Urbanek. Das alleine sei nicht das Problem: Dadurch, dass immer mehr Schüler das Gymnasium in Düsseldorf besuchten und dort auch ihr Abitur machten, werde die absolute Zahl der Abbrecher immer größer.

Urbanek appelliert deshalb auch an die Verantwortlichen in den Schulen, von einer zu starken Hochschulausrichtung abzuweichen. „Die Gymnasien haben oft noch nicht verstanden, dass man zwar studieren kann, aber nicht muss.“ Immerhin jeder vierte Azubi habe mittlerweile Abitur. Und die IHK arbeite mit sogenannten Ausbildungsbotschaftern daran, diesen Prozentsatz zu erhöhen.

Mit dem Projekt „Kein Abschluss ohne Anschluss“ werde ebenfalls mit Schulpraktika ab der 8. Klasse dafür getrommelt, sich frühzeitig ein Bild davon zu machen, was beruflich interessant sein könnte. „Unser Ziel ist es, die Fülle der Möglichkeiten aufzuzeigen.“ In einer Potenzialanalyse könne zudem gemeinsam mit dem Schüler erarbeitet werden, wo die Präferenzen des Jugendlichen liegen.

Doch um an die Schüler heranzukommen, seien auch die Pädagogen gefragt. „Lehrer sind natürlich wichtige Personen bei der Orientierung für die Schüler.“ Doch ihnen fehle häufig der Blick in die Berufswelt.

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