WZ-Serie - Düsseldorf bei Nacht Eine Nachtschicht in der Pritt-Fabrik

100 Millionen Prittstifte stellt Henkel in Holthausen pro Jahr her. Ein Produktionsbesuch.

WZ-Serie - Düsseldorf bei Nacht: Eine Nachtschicht in der Pritt-Fabrik
Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Wie eine riesige, dampfende, werkende Stadt liegt das Henkel-Werk da, eine Stadt, die niemals schläft. Es ist schon dunkel an diesem Spätsommer-Abend, um kurz vor zehn Uhr misst das Thermometer immer noch über 30 Grad. Vor dem backsteinernen Gebäude verabschieden sich die Kollegen der Spätschicht, Feierabend ist im Pritt-Werk aber noch lange nicht: Bis 6 Uhr werden an zwei der acht Bahnen die Klebe-Stifte produziert.

In der ersten Etage, wo die Produktionsbahnen stehen, ist es gefühlt noch wärmer als draußen. Der Logistiker hat jetzt auch Feierabend, er wischt sich die Stirn mit der Hand ab und geht schnellen Schrittes zum Treppenhaus. In einer Schicht läuft er etwa zehn Kilometer, bringt die fertigen Papp-Container mit jeweils 15 000 Prittstiften zum Warenausgang.

„Wir produzieren hier in Düsseldorf die Pritt-Klebestifte für ganz Europa und Japan, das sind etwa 100 Millionen im Jahr“, erklärt Axel Saft. Er ist promovierter Chemiker und der Betriebsleiter unter anderem auch des Pritt-Werks. Bei heißen Temperaturen haben die Mitarbeiter fünf oder zehn Extra-Minuten Pause pro Stunde.

Die erste Etage riecht nach Kindergarten, Weihnachten, Geburtstagen. Der unverkennbare Duft der Klebestifte hat unzählige Feste und Bastelaktionen begleitet. Laut ist es auch, obwohl in dieser Nacht nur zwei Bahnen laufen. Es rappelt, klappert, klackt und zischt. Schutzkleidung ist hier Vorschrift.

Gudrun Frank ist seit 25 Jahren im Henkel-Werk beschäftigt, seit sechs Jahren in der Pritt-Produktion. „Ich höre das kaum“, sagt sie. „Wenn es doch mal laut wird, trage ich Ohrenstöpsel.“ Sie zeigt auf einen Spender an der Säule mit lauter bunten kleinen Ohrenschützern. Heute Nacht steht sie an Bahn fünf und produziert Zwanzig-Gramm-Stifte mit weißem Gehäuse für den englischen Markt.

Und das geht so: Aus einem großen Sammelbecken werden die leeren Hülsen in eine erste Maschine befördert, die ein bisschen wie ein Roulette-Rad aussieht. Per Druckluft werden die Hülsen, die falsch herum liegen — also mit der offenen Seite nach außen —, wieder in die Mitte geschossen, bis sie richtig herum liegen. Alle Hülsen, die das Rad verlassen, stehen dann aufrecht. Über ein Fließband geht es in den nächsten Teil der Maschine, der mit herunterfahrenden Stäben überprüft, ob auch wirklich alle Hülsen aufrecht stehen. Wenn das so ist, bekommen die zukünftigen Stifte einen „Schuh“ überzogen: Jeder bekommt dann einen Plastikring um den Fuß, so können sie nicht mehr umfallen. Acht Spritzdüsen versinken einen Meter weiter gleichzeitig in acht Hülsen und füllen die heiße Klebemasse ein. Ab und zu muss Gudrun Frank die Maschine anhalten und die Düsen reinigen, damit sie keine Fäden ziehen.

Die Kleber-Masse wird in der zweiten und dritten Etage angerührt, ihre Zusammensetzung ist streng geheim. Nur so viel sei gesagt: Es ist Stärke enthalten. Nachts wird keine Rezeptur hergestellt, die Vorräte für die Nacht werden in großen Behältern warmgehalten.

Dann fahren die fast fertigen Prittstifte eine Viertelstunde durch eine Art Achterbahn in einem Kühlkasten, bekommen eine Kappe aufgesetzt, der Schuh bleibt auf dem Band, sie fallen durch ein kleines Loch auf ein zweites Fließband und landen so in einem der großen Papp-Container. Fertig ist der Klebestift.

Der Deutschen liebster Prittstift ist natürlich der klassisch rote. Im Sortiment gibt es aber auch bunte Kleber, auch in Rosa, oder sogar mit Glitter. „Damit nur die Bilder und Kunstwerke glitzern, nicht das ganze Wohnzimmer“, sagt Familienvater Saft und lacht. Jetzt müssten allerdings er und seine Mitarbeiter aufpassen, keine Glitzer-Schweinerei zu verursachen.

Der Schulbeginn ist der jährliche Höhepunkt, auf den hingearbeitet wird. „Grundsätzlich versuchen wir, Nachtschichten zu vermeiden“, sagt Axel Saft. „Zu Spitzenzeiten ist das aber meistens nicht möglich.“ Nachts werde die Arbeitsbelastung um 50 Prozent höher empfunden, so Saft. Deshalb würden nachts auch nur einfache Aufträge gefahren.

Nadine Zander, die Zweite, die heute Nacht arbeitet, liebt Nachtschichten, sagt sie. „Ich habe dann meine Ruhe, es ist ja nachts immer etwas weniger los als sonst.“ Weniger Arbeit hat sie dadurch aber nicht, sie ist allein für eine Bahn zuständig und muss die fertigen Container zur Seite fahren, der Logistiker ist bereits zu Hause.

Machen ihr die Maschinen oder die Verantwortung Angst? „Überhaupt nicht“, sagt sie. „Ich mache das seit zehn Jahren, Angst hatte ich nie.“ Im Notfall gibt es aber immer den Werksschlosser als Ansprechpartner. Das 1,4 Quadratkilometer große Henkel-Werk hat eine eigene Werksfeuerwehr und einen Werksschutz, für größere Notfälle. Heute ist aber alles ruhig, Nadine Zander kann in Ruhe arbeiten. Und so purzelt ein blauer Prittstift nach dem anderen in den Container.

Gudrun Frank an Bahn fünf wirft einen Blick in den Spiegel an der Decke am Anfang der Maschine. Der große Kessel braucht Hülsen-Nachschub, die weißen für 20 Gramm-Stifte. Wann das soweit ist, hat sie mittlerweile im Gefühl. Als sie die Folie um die Kartons entfernt, fallen ein paar Hülsen aus dem Loch, das die Warenannahme in den Karton geschnitten hat, um eine Probe zu entnehmen. „Unsere Mitarbeiter sollen Verbesserungsvorschläge zur Arbeit machen. Gute Vorschläge werden sogar prämiert“, erklärt Saft. Ein Vorschlag, wie die Probenentnahmen zukünftig nicht mehr die Produktion beeinträchtigen, böte sich an dieser Stelle an.

Die Bänder laufen, rund um Bahn fünf ist das Klackern der „Schuhe“ zu hören, die aneinanderschlagen. Nur manchmal, wenn Gudrun Frank die Maschine stoppt, um die Düsen zu reinigen, wird es etwas leiser. „Linie fünf ist unsere beste Produktionslinie. Sie ist einfach sehr zuverlässig und schnell“, sagt Saft. Die Bahnen sehen sehr unterschiedlich aus, funktionieren auch ganz unterschiedlich. Manche, wie Bahn fünf, werden servoelektronisch betrieben, andere pneumatisch, also mit Luft. Alle Mitarbeiter müssen sich mit den Unterschieden auskennen.

Gudrun Frank klebt einen Container zu, er ist bis oben hin voll mit 15 000 weißen Prittstiften von Bahn fünf und bereit, das Werk zu verlassen. Vor drei Jahren hat Axel Saft eine Mitarbeiterin nach 43 Jahren bei Henkel verabschiedet, die 1969 bei der ersten Pritt-Produktion dabei war. Damals sind etwa 200 Stifte pro Stunde vom Band gegangen. Den Tageshöchstsatz von damals überbietet Gudrun Frank in dieser Schicht noch einige Male. Um sechs kommt die Frühschicht, alle acht Bahnen werden angeworfen. Gudrun Frank und Nadine Zander gehen nach Hause.

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