Ein Tag aus dem Takt

Ivana Kisic ist Tänzerin und ständig auf Achse. Für einen perfekten Tag dreht sie den Kontakt zur Außenwelt auf Null und wohnt bei sich.

Düsseldorf. Der perfekte Tag beginnt für Ivana Kisic immer schon am Vortag. Dann kauft sie ausgiebig ein und füllt ihren Kühlschrank. Denn wenn sie ausnahmsweise mal tun und lassen kann, was sie möchte, bleibt sie am liebsten zu Hause.

Die 32-Jährige ist Tänzerin und viel unterwegs, sie unterrichtet am Tanzhaus NRW, in Düsseldorfer Schulen und in anderen Städten. Im Leben von Ivana Kisic ist ständig Bewegung und manchmal auch Unruhe. Seit ihrer Kindheit pendelt sie zwischen Deutschland und der Heimat ihrer Eltern hin und her. Mindestens elf Mal ist sie schon umgezogen und verbringt heute mehr Zeit in Zügen und an Bahnhöfen als an irgendeinem anderen Ort.

Ihre Familie stammt aus Kroatien. Als Ivana Kisic zehn Jahre alt ist, wollen ihre Eltern in die Heimat zurückkehren. Aus den Ferien ist ihr das südkroatische Dalmatien zwar vertraut, aber dort leben will sie nicht.

Die Rückkehr wird schließlich nur ein kurzes Intermezzo. Als die Familie im Sommer1989 in Kroatien ankommt, brechen im ehemaligen Jugoslawien Unruhen aus. Nach nur sechs Wochen kehren die Kisics nach Deutschland zurück. Ivana geht aufs Gymnasium und spielt in der Schultheatergruppe mit. Ihre erste Rolle ist ein Straßenkind in dem Stück Oliver Twist. "Von da an wollte ich auf die Bühne."

Eine Fernsehserie weckt ihr Interesse für Tanz, doch die Eltern sind skeptisch. "Ich hatte Gitarre und Tennis gespielt und beides abgebrochen." Sie leiht sich Bücher über klassisches Ballett aus, übt die Positionen anhand der Fotos und Beschreibungen, dreht Pirouetten im Wohnzimmer.

"Das habe ich zwei Jahre lang durchgezogen, bis meine Eltern schließlich nachgaben und mir Ballettstunden bezahlten." Aus dem wöchentlichen Training wird eine Leidenschaft, die Ivana schließlich an die Hochschule der Schönen Künste in Arnheim führt.

Dort entscheidet sie sich dann aber gegen den Bühnentanz und belegt stattdessen das Studium der Tanztherapie. Für die Karriere einer selbstverliebten Primaballerina hat Ivana Kisic einen zu direkten Draht zur Realität.

"Als wir einmal in den Ferien in Kroatien waren, wurden Granaten über unserem Ort abgeworfen, und wir mussten drei Tage lang in einem Luftschutzkeller bleiben", erzählt Ivana. Während sich ihre Schulkameraden in Spanien oder Griechenland amüsieren, liegt über den dalmatischen Stränden stets eine bedrohliche Spannung. "Ich hatte das Gefühl, die ganze Tierwelt spinnt. Kurz vor einem Angriff hat man nicht einmal mehr ein Insekt gehört. Wie mag es da wohl Menschen ergehen, die täglich dem Krieg ausgesetzt sind?"

Solche Erlebnisse bestärken sie darin, ihr grundsätzliches Interesse an der Psychologie auszubauen. "Tanz eröffnet einem vieles und vermag zu heilen. Das wollte ich anderen vermitteln."

Deswegen ist sie ständig auf Achse und tanzt mit Jugendlichen, Erwachsenen, Anfängern und Profis. "Ab und zu muss man auch bei sich wohnen und ausruhen." Deswegen dreht sie den Kontakt zur Außenwelt an einem perfekten Tag auf Null, schaltet alle Telefone aus und schläft bis in die Puppen. Seit Arnheim ist ihr Schlafbedürfnis enorm. "Wir hatten bis 19Uhr Unterricht, dann haben wir Praktika absolviert oder gejobbt, um Geld zu verdienen, nachts habe ich gelernt. Den damals versäumten Schlaf hole ich heute noch nach."

An einem perfekten Tag dehnt Ivana Kisic das Zeitfenster auf ein Maximum aus. Sie gönnt sich ein opulentes Frühstück, ein ausgedehntes Bad und stundenlanges Lesen. "Ich bin dann einfach gut zu mir." Verabredungen trifft sie an solch einem Festtag grundsätzlich nicht. Alle Energie bleibt in ihrer kleinen Wohnung. Spielend widersteht sie der Versuchung, an diesem kostbaren Augenblick etwas zu ändern, denn wenn sie aus ihrem Wohnzimmerfenster schaut, blickt sie auf das Tanzhaus und Bahngleise, wo sie ab morgen wieder in Bewegung ist.

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