Düsseldorferin rettet Flüchtlinge aus dem Mittelmeer

Anna Bartz hat mit der Organisation „Jugend rettet“ Flüchtende vor der libyschen Küste vor dem Ertrinken bewahrt. Ihr Boot wurde aber jetzt beschlagnahmt.

Düsseldorferin rettet Flüchtlinge aus dem Mittelmeer
Foto: Ong Sos Mediterranee/dpa

Düsseldorf. Eigentlich will Anna Bartz wieder in See stechen. Wenn sie nicht gerade den Arm verletzt hätte, wäre sie jetzt wahrscheinlich auf der „Sea-Eye“ zwischen Libyen und Italien. Das Schiff ihrer Organisation „Jugend rettet“, die „Iuventa“ liegt irgendwo in einem Hafen in Italien und rostet vor sich hin. Beschlagnahmt. So muss sie eben anders etwas für die Sache tun, die ihr am Herzen liegt. Am Freitag hielt sie daher einen Vortrag über die Arbeit der zivilen Seenotretter vor der libyschen Küste.

Im Oktober 2015 wurde der Verein „Jugend rettet“, dessen Mitglieder derzeit alle zwischen 20 und 35 Jahren alt sind, gegründet. Auslöser waren wiederkehrende Berichte über Menschen, die bei ihrer Flucht im Mittelmeer ertrinken. Die Gründer wollten selbst aktiv werden. Im Mai 2016 kaufte der Verein über Spenden finanziert einen ehemaligen Schiffstrawler und baute ihn um. Im Juli 2016 konnte die „Iuventa“ erstmals in See stechen.

(Anna Bartz bei ihrem Vortrag in Düsseldorf. Foto: Sergej Lepke)

Anna Bartz war fast von Anfang an dabei. Auch sie wollte etwas unternehmen. Erstmal arbeitete sie als Botschafterin. Versuchte öffentliche Aufmerksamkeit für die Arbeit von „Jugend rettet“ zu schaffen. Doch in der Anfangsphase der „Iuventa“ wurde dann auch sie direkt aktiv, plante mit einem Kollegen die medizinische Versorgung und war auch beim Ausbau des Schiffes mit dabei.

Und auch bei einigen Missionen ist sie schon mitgefahren. Beim Vortrag erklärt sie, wie ein typischer Einsatz abläuft. Alles beginnt mit der Info von der Seenotleitstelle in Italien oder von anderen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die hier im Einsatz sind, dass ein oder mehrere Boote gesichtet wurden. Wer am nächsten dran ist, kümmert sich. Mit Schnellbooten fährt eine kleine Gruppe nah an das zu rettende Boot heran.

„How many are you? How many kids, how many women, how many pregnant, injured?“. Die Retter fragen zuerst ab, wer sich auf dem Boot befindet. Wie viele Menschen insgesamt? Sind Kinder dabei, schwangere Frauen, Verletzte? Dann werden Rettungswesten ausgeteilt. „Einige haben schon welche an, das kostet einen Aufpreis bei den Schleppern. Das sind aber keine besonders guten Westen. Geht das Boot unter, ziehen die einen im Zweifelsfall in die Tiefe“, berichtet Anna Bartz

Passagiere, die besonders eilig versorgt werden müssen, nehmen die Ersthelfer mit aufs Schnellboot. Dann wird — wenn es der Seegang erlaubt — das Boot mit zum Rettungsschiff geschleppt. Etwa 220 Personen haben an Deck der 33 Meter langen „Iuventa“ Platz. Hier geht es dann an die medizinische Versorgung.

Die meisten, die an Bord ankommen sind dehydriert, traumatisiert. Viele zeigen Verletzungen, die wahrscheinlich von Folter in den libyschen Lagern zeugen — Verbrennungen, Zeichen von Misshandlung, Schussverletzungen. Schwangere Frauen sind häufig dabei. „Etwa neun von zehn Frauen werden in den Lagern vergewaltigt“, sagt Bartz.

Sind alle Flüchtenden geborgen, zerstören die Retter die Boote. Schlauchboote werden zerschlitzt, Holzboote in Flammen gesteckt. Die Schlepper sollen nicht die Gelegenheit haben, sie ein zweites Mal zu verwenden. Nach der ersten Versorgung kommen die Geretteten dann auf größere Schiffe anderer NGOs oder der italienischen Küstenwache und werden weiter zum europäischen Festland gebracht. Was dann passiert, kriegen die Retter nicht mehr mit.

Im Moment fährt die „Iuventa“ aber garnicht. Schon seit August. Denn da wurde das Schiff der jungen Retter beschlagnahmt. Die Gruppe hatte sich am Vortag der Beschlagnahmung geweigert, einen Verhaltenskodex zu unterzeichnen — einige Passagen hätten nicht zum Selbstverständnis der NGO gepasst. „Da stand zum Beispiel, dass wir uns verpflichten, bewaffnete Polizisten an Bord zu nehmen. Damit hätten wir unsere Neutralität aufgegeben“, erklärt Anna Bartz.

Auch wenn die Organisationen sich bei der Rettung rechtlich auf der sicheren Seite sehen — das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1982 beinhaltet unter anderem, dass Menschen in Seenot in jedem Fall gerettet werden müssen — wird „Jugend rettet“ hier ein Rechtsbruch vorgeworfen. Es wird wegen Beihilfe zu illegaler Einwanderung und Unterstützung von Schlepperei ermittelt. Der Vorwurf: Die Organisation arbeite direkt mit Schleppern zusammen, ermögliche so das perfide System.

Anna Bartz kann darüber nur den Kopf schütteln. Beweise, die vorgelegt wurden, erzählen nur die halbe Wahrheit. Ein Foto zeigt das Schnellboot der Organisation neben einem leeren Schlauchboot, darauf ein sogenannter Engine Fisher, der den Außenbordmotor abmontiert, um ihn zurück nach Libyen zu bringen und zur erneuten Benutzung weiterverkaufen. „Es stimmt, dass wir uns denen nicht in den Weg gestellt haben. Aber die sind bewaffnet — und wir nicht“, sagt Bartz. Trotzdem: Die rechtlichen Mittel, die in Italien offen stehen, sind ausgeschöpft. Auch der letzte Einspruch wurde abgelehnt, die Chancen, die „Iuventa“ zurückzubekommen sind gering.

Dabei sei mittlerweile durch eine Studie der Universität Oxford belegt, dass die Zahl der Menschen, die sich auf den Weg macht, nichts mit der Zahl der Rettungsmissionen vor der Küste zu tun hat. „Die wollen aus Libyen weg - koste es was es wolle. Und vielen scheint es dann sicherer, über das Meer zu flüchten, als sich zurück durch die Sahara aufzumachen“, sagt die Aktivistin. Die einzige Zahl, die sich mit der Anzahl der Rettungseinsätze verändert — das zeigt auch die Oxford-Studie — ist die der Ertrunkenen.

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