Beruf Düsseldorfer Tobias Reitz textet Schlager - auch für Helene Fischer

Tobias Reitz ist einer, der Herz auf Schmerz reimt: Er schreibt die Texte für Schlagersongs — etwa auch für Helene Fischer. Ein Gespräch über ein Genre im Wandel.

Beruf: Düsseldorfer Tobias Reitz textet Schlager - auch für Helene Fischer
Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Schlager ist vor allen Dingen eines nicht mehr: Der, der er mal war. Das spießige und schmalzige Alte-Leute-Klischee ist einer wachsenden Akzeptanz gewichen, besonders unter jüngeren Menschen. Es ist nicht mehr zwingend cool, sich über Schlager lustig zu machen — es könnte ein Fan vor einem stehen, dem man das nicht ansieht. Einer, der an dieser Entwicklung nicht unerheblichen Anteil hat, ist der in Düsseldorf lebende Schlager-Texter Tobias Reitz. Er hat unzählige Songs für namhafte Stars der Szene gedichtet, beispielsweise Helene Fischers Ohrwurm „Fehlerfrei“. Ein Gespräch.

Herr Reitz, wie wird man denn Schlager-Texter?

Tobias Reitz: Das sind eigentlich zwei verschiedene Fragen: Warum Schlager und warum Songtexter.

Dann zuerst der Schlager.

Reitz: Schlager höre ich schon immer, das ist die Musik meiner Kindheit, meines Lebens. Eine rationale Begründung habe ich dafür nicht, die Musik hat mich einfach berührt.

Und das Texten?

Reitz: Mit 19 Jahren, gleich nach der Schule, hatte ich ein Angebot, Probeaufnahmen bei einem Schlager-Label zu machen. Dazu ist es aber nie gekommen, ich habe darüber die Texterin Heike Fransecky kennengelernt, die mich dann zur Celler Schule, der Textdichter-Schmiede von Edith Jeske gebracht hat. 2001 habe ich das Seminar belegt, heute leiten Edith und ich die Schule zusammen.

Nach der Schule kam also direkt der Schlager?

Reitz: Ziemlich direkt, ja. Meine erste Veröffentlichung, das Lied „Santo Domingo, die Sterne und du“ war einer der zehn erfolgreichsten Schlager-Hits des Jahres 2002. Das war schon irre, plötzlich singt eine Gruppe, deren Fan ich war, meinen Text. So ging das dann weiter, mein fünfter Text war für Andrea Berg. Parallel zum Veröffentlichen habe ich dann in Düsseldorf Germanistik und Medienwissenschaft studiert. Gewissermaßen, um mein Elternhaus zu beruhigen: Er macht was Solides, dann darf er nebenbei auch spinnen.

Wie darf man sich die Textarbeit bei Ihnen vorstellen?

Reitz: Sehr strukturiert. Fünf Minuten automatisiertes Schreiben, handschriftlich. Einfach drauf los. Dann erledige ich meine Aufträge. Erst lasse ich die Muse in mir sich austoben, dann kommt der Redakteur zum Einsatz. Meine Arbeit besteht aber nur zu 20 Prozent aus Texten, 80 Prozent sind Kommunikation. Kundenkontakt, Abstimmen, Netzwerken. Viele denken, die Kreativität kommt bei einem Stückchen Pflaumenkuchen mit Helene Fischer am Gardasee. So schön das klingt, effektiv wäre es nicht.

Wie entsteht denn ein Hit wie „Fehlerfrei“, Helene Fischers dritterfolgreichstes Lied — ruft Frau Fischer an?

Reitz: Den hat Frau Fischer in der Tat bestellt. Sie wollte endlich mal keinen Lovesong singen. Ich fand das Thema spannend, weil es mit ihrem Image spielt: Dem der fleischgewordenen Perfektion. Der Titel stand, die Musik gab es auch schon. Ich habe dann meine Zeilen da drauf gelegt. Das kann aber auch ganz anders laufen: erst Text, dann Musik, oder gemeinsames kreatives Schaffen im Studio.

Wo sehen Sie die Abgrenzung zur Popmusik?

Reitz: Herbert Grönemeyer hat das mal sehr treffend ausgedrückt: Im Schlager werden kleine Zusammenhänge mit großen Worten beschrieben, im Pop ist es umgekehrt. Das trifft es genau, man denke nur an seinen Song „Mensch“: „Weil er lacht, weil er lebt, du fehlst“. Aus diesem „du fehlst“ würde man im Schlager ein ganzes Lied machen. Diese reduzierte Sprache haben wir übrigens auch bei „Fehlerfrei“ angewendet.

Ist das dann ein Popsong?

Reitz: Fast, vor allen Dingen zeigt das Lied aber, wie der Schlager sich verändert hat. Und wie er eine immer jüngere Zielgruppe anspricht. Ich habe schon zwei Mal Vorträge in meiner alten Schule gehalten und dabei den Schülern Beispiele vorgespielt. Früher, in meiner Generation, hätten die gegrölt vor Lachen. Heute sind sie viel offener.

Liegt das daran, dass deren Eltern weniger Schlager gehört haben, als das ihre Großeltern noch getan haben?

Reitz: Da bin ich mir sehr sicher. Die Rolling-Stones-Generation konnte sich mit Musik noch von ihren spießigen Eltern und deren 50er-Jahre-Verdrängungs-Schlager abgrenzen. Wer aber von Rolling-Stones-Eltern erzogen wurde, hat mitunter eine viel größere Aufgeschlossenheit auch der Spießigkeit gegenüber. Und heute ist Schlager nicht mehr wie bei den Flippers: buntes Sakko und singendes Reisebüro. Sondern sexy und modern.

Geht der Schlager dann nicht bald im Pop auf?

Reitz: Nicht unbedingt. Der Schlager muss sich für nichts schämen. Nehmen wir ein sehr gut funktionierendes Projekt, für das ich schreibe: Klubbb3, eigentlich drei jeweils sehr erfolgreiche Solosänger, nämlich Florian Silbereisen, Jan Smit und Christoff. Wir haben mit dem Deübtalbum 2016 Platin erhalten und steuern Dreifach-Gold an. Sowohl bei den Themen als auch bei den Texten haben wir uns darauf besonnen, was Schlager ausmacht. Endlich durfte ich wieder das tun, was man mir 15 Jahre lang verboten hatte.

Das wäre?

Reitz: Zum Beispiel Herz auf Schmerz reimen. Oder die rote Sonne im Meer versenken.

Etwa vor Capri?

Reitz: Oder sonst wo. Ich glaube übrigens, ich bin der Einzige in meiner Branche, der sich Schlager-Texter nennt, sich klar zu dieser Berufsbezeichnung bekennt. Viele spielen damit, dass sie Genre-übergreifend können. Das möchte ich gar nicht.

Können Sie denn Schlager-Kritiker verstehen?

Reitz: Natürlich. Der Schlager ist ja auch ein leichtes Opfer. Aber ich finde, das sagt viel mehr über den aus, der es macht als über die Musik. Es tut mir auch leid für all die großartigen Chanson-Texter, vor deren Arbeit ich den Hut ziehe, aber genau weiß, dass man damit nicht so viel verdient wie im Schlager. Das ist ungerecht, aber die Leute wollen in der Masse einfach mehr „Aaatemlooos“ hören.

Gibt es Musik, die Sie nicht mögen?

Reitz: Ich würde mir in meiner Freizeit kein Heavy Metal oder Free Jazz anhören. Aber ich habe großen Respekt vor den Musikern, ich habe einige aus diesen Genres kennengelernt. Rap stresst mich auch, dafür kann ich aus deren Texten eine Menge Inspiration ziehen.

Wieso sind Sie in Düsseldorf geblieben?

Reitz: Ich liebe die Stadt. Das Grün, das Wasser, die Ästhetik. Und die Überschaubarkeit. Vor zehn Jahren habe ich die Improvisationstheater-Gruppe Phönixallee mitbegründet und es gibt hier Menschen, die das sehen wollen. Wir spielen einmal im Monat im Theatermuseum und einmal im Monat eine Session im Pitcher in Oberbilk — bei beidem ist die Bude voll. In Berlin zum Beispiel gibt es zu viel Angebot, da spielen tolle Darsteller oft vor leeren Rängen. Außerdem habe ich in Düsseldorf meinen Mann kennengelernt, während des ersten Semesters. Im Theater. Wir haben Shakespeares „Was ihr wollt“ gesehen und dann haben sich unsere Blicke verfangen.

Haben Sie darüber schon ein Lied geschrieben?

Reitz: Über unser Kennenlernen tatsächlich noch nicht. Aber eine gute Idee! Wollen Sie jetzt Anteile? (lacht) Das Lied „Du fängst mich auf und lässt mich fliegen“, das Helene Fischer gesungen hat, habe ich für ihn geschrieben. Wir sind jetzt seit 16 Jahren zusammen.

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