Düsseldorf von '56 bis '65: Klein-Paris nach dem Krieg

Die alten Bilder von Dirk Alvermann wurden jetzt im Steidl-Verlag veröffentlicht.

Düsseldorf. Der Name Alvermann hat in Düsseldorf einen guten Klang. Hans-Peter Alvermann (1931-2006) war ein bekannter Künstler, der dem Kunstmuseum sein gesamtes Werk an Bildern und Skulpturen hinterließ. Sein Bruder Dirk Alvermann (Jahrgang 1937) lebt in der Nähe von Berlin und kehrt jetzt zumindest gedanklich mit einer Liebeserklärung zurück. Es ist das Fotobuch „Klein Paris“ im Steidl-Verlag.

Dirk Alvermann stammt wie seine sechs Geschwister aus einer Arztfamilie von der Kruppstraße in Oberbilk. Der Vater war Internist, der Sohn besuchte die Volksschule an der Stoffeler Straße und die ehemalige Hindenburg-Schule.Irgendwann bekam er eine Leica geschenkt. Mit den lichtempfindlichen Negativen der Nachkriegszeit entstanden die Aufnahmen mit grobem Korn, deren Atmosphäre er schätzte. Das Ergebnis ist eine Reise durch das Nachkriegs-Düsseldorf.

Er besuchte die „Kurbelkiste“, das Kino im Luftschutzbunker unter dem Carlsplatz, wo ein Plakat über den Köpfen zweier Jungens den schnulzigen Film „Zur Liebe verdammt“ ankündigte. Verschwunden ist das verwitterte Plakat an der Außenfassade des Bunkers. Alvermann hielt es fest: „Männer im Alter von 16 - 70 Jahren gehören in den Einsatz und nicht in den Bunker.“

Er lief täglich zwei bis drei Stunden auf Motivsuche durch die Stadt, hielt die Kletterkünstler in den Ruinen fest, zeigte CDU-Plakate von Kandidaten mit Schlips und Anzug. Er liebte Musikanten und Narren, denen die Menschen vom ersten Stockwerk der Ruinen aus zuhörten. Noch konkurrierte der Pferdewagen mit dem Auto. Und die Angestellten der Mutter wuschen in Wasserbottichen und Zinkwannen die Wäsche, während der Sohn die Szene festhielt.

Er nahm den Sommerschlussverkauf im Kaufhof vom Verkaufsstand für die eher altmodischen Hüte auf und zeigte die Kundinnen im Kaufrausch. Kinder schlugen Rad, während ältliche Damen auf dünnen Garten-stühlen am Kö-Graben saßen und plauschten, unweit von bettelnden Kriegsheimkehrern an Krücken.

Gerd Semmer spielt auf seinen Bildern Geige. Er war Kulturredakteur der Deutschen Volkszeitung und einer der ersten, die Alvermanns Arbeiten veröffentlichten. Das Kreuzherreneck rangierte als eine der ersten Szenekneipen, Vertriebene luden zur Großkundgebung ins Rheinstadion, und die Malerin Hannelore Köhler war jung und schön in ihrem Atelier. „Flötchen“ Horst Geldmacher führte eines seiner unzähligen Musikinstrumente an den Mund, im „New Orleans“ und anderswo.

Überall rannten, turnten, tanzten und kickten Kinder, denn die Zeit der U3-Gruppen und der Ogata-Klassen war noch nicht gekommen. Auf einer der letzten Seiten im Bilderbuch lacht ein Bub noch ohne Zahnspangen im Mund, als freue er sich auf seine Zukunft.

Die Fotostrecke endet 1965. 1966 zog Alvermann nach Mecklenburg-Vorpommern, der Liebe wegen. Er machte nun Dokumentarfilme, schrieb Prosa wie das „Ende eines Märchens“ und fertigte Fotoreportagen über fremde Länder an. Das Rheinland lag nun weit weg. Erst als Martin Parr, Ausstellungskurator von Magnum in Paris, ihn ansprach, holte Alvermann die Originale aus den Schubladen und überwachte persönlich den Druck.

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