„Die Menschen unterstellen uns ein besonderes Engagement“

Thorsten Nolting (Diakonie) und Ronald Vogel (Caritas) verteidigen die Rolle der kirchlichen Wohlfahrtsverbände.

Herr Nolting, Herr Vogel, die Kirchen haben immer weniger Mitglieder, aber ihre Wohlfahrtsunternehmen wie Caritas und Diakonie wachsen stetig — mit welcher Berechtigung eigentlich?

Vogel: Ich bezweifele Ihre These vom Wachstum, das erlebe ich in Düsseldorf nicht so. Wir bleiben eher auf einem konstanten Niveau, aber natürlich gibt es immer wieder neue Tätigkeitsfelder aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungen. Außerdem drängen wir uns als Caritas ja nicht in neue Aufgabenfelder, wir haben sie oft schlicht geerbt, wenn etwa Kirchengemeinden oder Orden sich von ihnen zurückgezogen haben. Nolting: Klar erkennbar ist für uns vor allem, dass Menschen uns besonders vertrauen, weil sie christlichen Trägern ein besonderes Engagement für Menschen unterstellen — in Kita, konfessioneller Schule oder Pflegeheim.

Wenn Ihr Image so gut ist, warum reagieren Sie dann so gereizt auf Überschriften wie „Kartell der Gutmenschen“, „Lohndumping bei Kirchenkonzernen“.

Vogel: Weil das provokative Verallgemeinerungen sind, die an der Realität vorbeigehen. Im Allgemeinen bin ich aber mit der Berichterstattung über den Caritasverband keineswegs unzufrieden.

Was immer wieder für Unmut sorgt, sind die Privilegien: So sind Sie, Stichwort: Dritter Weg, nicht an Tarifverträge gebunden, Ihre Mitarbeiter dürfen nicht streiken.

Nolting: Die allermeisten diakonischen Werke sind so wie wir in Düsseldorf auch tariftreu, das heißt: der Spartentarifvertrag gilt immer. Aber auch über die Bezahlung hinaus versuchen wir, bestmögliche Arbeitssituationen für unsere Mitarbeiter zu schaffen. Wenn das irgendwo nicht gilt, wenn sozusagen Privilegien unter Diakonie-Flagge gegen die Mitarbeiter gerichtet werden, dann muss dort etwas passieren, sonst werden wir als kirchlicher Träger in der Tat unglaubwürdig. Andererseits sind wir als Diakonie in manchen Bereichen bald nicht mehr konkurrenzfähig, weil Privatanbieter tatsächlich mit Dumpinglöhnen operieren, etwa im Bereich der Beschäftigungsförderung. Aber das wird nicht so angeprangert, da müsste Politik energisch eingreifen.

Im katholischen Fall wird oft ein rabiates Arbeitsrecht kritisiert, wenn etwa jemandem gekündigt wird, weil er ein zweites Mal heiraten will — obwohl auch die Caritas ihr Geld weitgehend vom Staat bezieht.

Vogel: Zunächst kurz zu den Tarifen: Im Bereich Pflege sind wir bei der Entlohnung immer unter den besten drei Arbeitgebern in der Region. Eine andere Frage ist, ob diese wichtigen Berufe nicht generell zu schlecht bezahlt werden. Aber in Zeiten von Budgets und Kostendeckelung stecken wir als Unternehmen in einer Sandwich-Situation — zwischen den Pflegekassen und dem berechtigten Wunsch unserer Mitarbeiter nach einer leistungsgerechten Vergütung. Zum Arbeitsrecht: Natürlich gibt es eine abgestufte Loyalitätsverpflichtung, je kirchennäher und je höher die Position ist, desto stärker gilt sie. Aber ich kenne keinen einzigen Fall bei der Caritas Düsseldorf, bei dem eine Scheidung ein Kündigungsgrund war. Und natürlich haben unsere Mitarbeiter die unterschiedlichsten Nationalitäten und Konfessionen.

Ein weiteres Privileg ist, dass Sie viele Aufträge von der Stadt bekommen, ohne Ausschreibung.

Nolting: Sie meinen den Rahmenvertrag Stadt — Freie Träger. Der bietet für mich insbesondere einen verlässlichen Gestaltungsspielraum für Wohlfahrt und erwartbare Leistungen und Qualitäten für die Bevölkerung. Und dann wird ja längst alles kritisch hinterfragt, was wir machen — von der Stadtverwaltung, der Politik und von uns selbst. Vogel: Der Rahmenvertrag wurde in Düsseldorf in finanziell schwieriger Zeit Ende der 90er Jahre geschlossen. Politischer Wille war es, auch unter Sparzwängen dauerhaft soziale Standards zu sichern. Und eben nicht alles von Jahr zu Jahr neu verhandeln zu müssen.

Seit ein paar Jahren gilt ein Wirkungscontrolling für alle Maßnahmen — davon waren Sie zunächst nicht begeistert, oder?

Nolting: Es ist längst akzeptiert, dass auch Wirkung und Nutzen von sozialen Angeboten überprüft werden. Nur als es am Anfang um reines Wiegen und Messen ging, waren unsere Sozialarbeiter zu recht skeptisch. Vogel: Wir haben uns nie dagegen gesträubt. Natürlich muss es auch im Sozialbereich eine Kosten-Nutzen-Analyse geben. Unsere finanziellen Ressourcen sind knapp, da muss jede Aufgabe genau hinterfragt werden: Wo müssen wir uns wie stark engagieren?

Und doch gibt es den Vorwurf, Wohlfahrtsverbände pflegten auch ihre Spielwiesen, hielten sinnlose Angebote aufrecht.

Nolting: Sehen Sie, wir haben maximal noch eine Million Euro an Kirchensteuern im gesamten Etat zur freien Verfügung, die setzen wir für die Bahnhofsmission, für Flüchtlingshilfe, für Sozialberatung etc. ein. Alles andere sind gebundene Mittel für Pflichtaufgaben wie in den Kindertagesstätten, der evangelischen Beratungsarbeit. Ich sehe beim Einsatz öffentlicher Mittel in der Beschäftigungsförderung mittlerweile die Gefahr, dass für die schwierigen menschlichen Fälle, da, wo Hilfe wirklich langwierig und kostspielig ist, bald kein Spielraum mehr bleibt.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Auftrag- und Geldgeber Stadt?

Vogel: In Düsseldorf ist es ein sehr angenehmer Umgang mit der Stadtverwaltung und mit der Politik — auch im Diskurs. Wir alle wissen: Sozialpolitik ist immer zugleich Finanzpolitik. Aber ich sehe auch Defizite, etwa in der Suchthilfe: Da sind die Mittel, die wir bekommen, zu knapp bemessen, da wurden unsere Etatanträge über Jahre verschoben. Nolting: Ich bin zufrieden mit der Diskussionskultur. Aber ich habe schon unerfüllte Wünsche. Ich meine, wir müssten in Düsseldorf mehr soziale Innovationen hinbekommen — jenseits des Pflichtbereichs.

Es gibt Defizite in der Suchthilfe, bei der Armutsbekämpfung oder bei der Inklusion. Ich sage Ihnen auch, wo das Geld für all das herkommen könnte: Indem die beitragsfreie Kita für alle abgeschafft wird. Es ist doch ein Wahnsinn, dass in Düsseldorf selbst Topverdiener nichts für den Kita-Besuch ihrer Kinder ab drei Jahren bezahlen. Stattdessen müsste es wieder sozial gestaffelte Tarife geben. In Düsseldorf waren die Beiträge ohnehin nur halb so hoch wie in Neuss und Mettmann. Weil aber alle Parteien für Beitragsfreiheit sind, wird das schwer zurück zu holen sein.

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