Kneipenkultur: Die letzte Runde beim Box-Papst

Wilfried Weiser, die lebende Legende hinterm Bahndamm, lud Künstler und Neugierige ins Milieu der leichten Mädchen von Oberbilk.

Kneipenkultur: Die letzte Runde beim Box-Papst
Foto: Katja Illner

Düsseldorf. Wilfried Weiser öffnete zum allerletzten Mal seine legendäre Kneipe im Oberbilker Rotlichtmilieu. Er tat es Markus Ambach zuliebe, der einen Steinwurf vom Bahndamm-Bordell entfernt seine „Reisen in die eigene Stadt“ anbietet. Aber Weiser machte sofort klar: „Die Kneipe lohnt sich im Maghreb-Viertel bei all den grünen Teetrinkern nicht mehr.“

Der Kneipier hatte sich schick gemacht, mit dem Emblem des Box-Papstes auf der blauen Trainingsjacke und dem weißen T-Shirt. Sogar die neue Goldkette mit dem Boxhandschuh und dem großen Brillanten hatte er sich umgelegt, nachdem ihm ein Räuber die erste Kette vom Hals gerissen hatte. Die Pinte mit der Conny an der Theke und den vielen Bildern an den Wänden war rappelvoll. Christoph Danelzik-Brüggemann vom Stadtmuseum schaute sich neugierig um, welche Fotos er abstauben könnte.

Der Pinten-Besitzer außer Diensten erzählte von seiner Karriere: „Ich bin zwischen Huren und Zuhältern groß geworden. Früher brauchte man kein Fernsehen. Man machte das Fenster auf und hatte alles.“ Schon als Junge brachte er morgens die Brötchen in den Puff. Die Vulkanstraße hieß bis 1976 noch „Bandelstraße“ und war im Milieu weltberühmt.

Die Freier durften die Frauen nur an den Bordellen ansprechen, aber die leichten Mädchen liefen ihnen oft entgegen, um sie sich zu „fischen“. Wenn das Wort „18“ erschallte, nahte die Polizei und die Werber mussten verschwinden, wenn sie nicht die Nacht bei vollem Verdienstausfall in der Polizeiwache verbringen wollten. Weiser gehörte zu den Jungens, die die Freier in der eigenen Haustür verschwinden ließen. „Wir waren mit 12, 13 Jahren schon Zuhälter“, sagt er.

Er startete als „Gehilfe im Steuerberaterberuf“. Aber als er nach dem Militärdienst nach Hause kam, habe er, viel trinkend, alles vergessen. Er arbeitete als Croupier in Casinos und hatte eine Puffmannschaft mit Rausschmeißern und Taxifahrern.

Im Hinterhof der Vulkanstraße 27 betrieb er eine Boxhalle. Hier trainierten sie, Henry Maske, Sven Ottke und Graciano Rocchigiani, sein Freund. Selbst Daisy Lang kam aus Mönchengladbach angereist, Weltmeisterin in drei Gewichtsklassen. Im Rucksack brachte sie für ihre Gewichtskontrolle eine Waage mit. Als ein Dieb am Bahnhof ihr die Tasche entreißen wollte, habe sie mit ihrem Paket einmal „klack klack“ gemacht.

Mit Jörg Immendorff, dem Kunstlehrer seiner Tochter Daniela in der Grundschule, war Weiser per Du. Den Maler Markus Lüpertz besuchte er zum Frühstück im Atelier. „Angefangene Riesentuben lagen herum. Die Studenten durften sie für ihre Bilder ausquetschen.“ Ob denn auch Joseph Beuys kam, wollte die Künstlerin Katharina Sieverding wissen. Die Antwort: Beuys habe nur seine Badewanne im Hof abgestellt.

Weiser selbst startete mit koreanischem Kampfsport und gewann Kickboxkämpfe. Und heute? Weiser winkt ab. Schuld sei der Sperrbezirk Hinter dem Bahndamm, wo man die Mädchen „kaserniere“. Außerdem habe er Sprachschwierigkeiten mit dem Russischen. Die Wettkämpfe seien nur noch Events. Und von den deutschen Boxern habe Jürgen Brähmer aufgegeben. Arthur Abraham habe wieder einmal eine in die „Fresse“ bekommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort