Diagnose "Kleinwuchs": So lebt es sich mit 1,17 Metern

B. Köhler ist kleinwüchsig. Der WZ erzählt sie, welche Hindernisse sie jeden Tag überwinden muss.

B. Köhler will sich nicht auf ihre Größe reduzieren lassen — auch nicht fürs Foto.

B. Köhler will sich nicht auf ihre Größe reduzieren lassen — auch nicht fürs Foto.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Ihren Regenschirm hat B. Köhler, die ihren Vornamen lieber für sich behalten will, so gut wie immer dabei, selbst wenn die Sonne scheint und sich keine Wolke am Himmel zeigt. Denn der Regenschirm leistet ihr gute Dienste, wenn die Tasten im Aufzug mal wieder so hoch angebracht sind, dass sie sie unmöglich erreichen kann. „Anders komme ich da häufig gar nicht dran“, sagt sie.

Köhler leidet an Achondroplasie, einer speziellen Form von Kleinwuchs und ist gerade einmal 1,17 Meter groß. „Früher war ich 1,20 Meter, aber ich bin wie alle Menschen im Alter geschrumpft.“ Köhler sagt das so, als mache ihr das nicht viel aus. Sie mag nicht klagen, auch weil es viele gibt, denen es gesundheitlich deutlich schlechter geht als ihr. Außerdem ist die Mitte 60-Jährige ein Mensch, der nicht gerne im Mittelpunkt steht. Darum spricht sie auch nicht für sich allein, sondern für alle Kleinwüchsigen, wenn sie erzählt, was sich verbessern ließe.

Da seien die Straßenbahnen oder Züge, deren Einstiege nicht nur für Menschen von 1,20 Metern schwer zu bewältigen seien. Bei Fahrrädern ist meist der Rahmen zu hoch, bei der Garderobe die Ablage, in der Toilette der Spiegel. Gar nicht zu reden von den Automaten in Banken, die aus Platzgründen meist in Nischen angebracht und an deren Tasten Kleinwüchsige, anders als bei freistehenden Geräten, einfach nicht herankommen. Beim Bäcker ist es schier unmöglich, das Geld über die Theke zu reichen. Und da muss der Einkauf im Supermarkt bewältigt werden, in dem Regale fast bis an die Decke gehen und Einkaufswagen für große Menschen gemacht sind.

Köhler weiß, wie sie sich helfen kann. Wenn sie über den Weihnachtsmarkt schlendert, tritt sie ein paar Schritte zurück, um in die Auslagen blicken zu können und die Kleidung lässt sie sich in der Änderungsschneiderei anpassen. Im Supermarkt nutzt sie die Einkaufswagen für Kinder, die es mittlerweile gibt. „Das macht mir nichts aus. Steht ein Großeinkauf an, ist das allerdings ein Problem.“ Sind Lebensmittel nur weit oben in den Regalen zu finden, ergibt es sich meist, dass ein Kunde ihr das Gewünschte anreicht. Wenn gerade niemand ansprechbar sei, „muss man aber auch warten können“, sagt sie. Manchmal bedankt sich Köhler dann bei ihrem Helfer mit den Worten: „Vielen Dank. Ich bin ja von der kurzen Truppe.“ So redet sie aber nur, wenn ihr wirklich danach ist.

Was Köhler ärgert, ist, dass es bei Rentnern wie ihr häufig Schwierigkeiten gibt, wenn es um die Finanzierung des Umbaus eines neuen Autos geht. Dann heiße es: „Nehmen Sie doch die Bahn.“ Aber eben das sei für viele Kleinwüchsige, je nachdem wo sie wohnen, kein leichtes Unterfangen. Weniger schön seien auch die neugierigen Blicke mit der ihre manche Menschen auf der Straße begegnen. Meist nimmt sie das aber gelassen. „Es gibt auf jeden Fall nicht mehr so eine Gafferei wie früher.“ Zu großgewachsenen Menschen aufzuschauen, kann für Kleinwüchsige außerdem auf Dauer ziemlich anstrengend sein.

„Wir haben alle Knie- Rücken- und Nackenprobleme“, sagt Köhler mit dem Zusatz, dass sie ja kein Maßstab sei, es verschiedene Arten von Kleinwuchs gebe und viele deutlich schlechter dran seien als sie — auch in jüngeren Jahren. Sie bedauert, dass viele zudem Schwierigkeiten haben, einen richtigen Job zu finden. „Das betrifft aber die gesamte Generation, es gibt ja praktisch nur noch befristete Anstellungen“, sagt Köhler, die schließlich noch verrät, was sie am liebsten in ihrer Freizeit unternimmt: „Ich liebe die historische Altstadt heiß und innig.“ olf

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