Der Kindergarten des Aquazoos

Was kaum jemand weiß: Hinter den Kulissen züchten die Mitarbeiter an der Kaiserswerther Straße bedrohte Arten. Eine Herausforderung.

Düsseldorf. Als Sandra Honigs das Stück Rinde hochhebt, ringelt sich die kleine Schlange blitzschnell in eine Ecke der durchsichtigen Box. Sie zieht ihren dünnen Körper in enge s-förmige Bögen zusammen, ihr Kopf zuckt nervös hin und her. Als Honigs das Holzstück zurücklegen will, schnellt die Erdnatter hoch, attackiert die Rinde, als wäre die ein tödlicher Feind. Sandra Honigs lacht. Die Schlange ist noch keine 30 Zentimeter lang. Geschlüpft vor gut zwei Monaten. Aber für einen überdimensionierten Regenwurm bringt das winzige Reptil ein überaus gesundes Selbstbewusstsein mit.

Es ist eine Seite des Aquazoos, die im Schatten von Diskussionen um den dauerverschobenen Umbau und den niedlichen Otter Nemo liegt. Der Kindergarten des Zoos. Pfleger und Wissenschaftler bemühen sich an der Kaiserswerther Straße darum, bedrohte Tierarten durch Zucht zu retten. Ihr Pech: Die Tierchen, die hinter den Kulissen des Aquazoos mit viel Liebe aufgezogen werden, haben kein putziges weißes Fell wie Eisbär Knut oder einen lustigen Silberblick wie Opossum Heidi. „Wir sind eine Nischen-Institution und für die Tiere da, die anderswo nur Statisten sind“, sagt Sandra Honigs.

Sie hat lange im Zoo in Landau gearbeitet — mit Elefanten, Zebras und all den anderen telegenen Tieren. „Aber das hier ist meine Welt“, sagt sie, die heute stellvertretende Direktorin des Aquazoos und Kuratorin des Landbereiches ist. Und das liegt auch an den besonderen Herausforderungen in der Zucht von Reptilien: „Es ist viel, viel komplizierter.“

Das hat sie gerade wieder erlebt, als die Leopardschildkröten Eier gelegt haben. Die Pfleger gruben sie aus dem Sand im Gehege aus, um sie im Inkubator bei konstanten 26 bis 28 Grad auszubrüten. Trotzdem gibt es keine Garantie, dass aus jedem Ei auch eines der etwa Fünf-Mark-Stück-großen Schildkröten-Babys schlüpft.

Schon das Ausgraben ist gefährlich. „Reptilieneier dürfen nicht gedreht werden“, erklärt Sandra Honigs. Denn anders als bei Hühnereiern schwebe der Dotter nicht frei in der Schale — wenn die Kleinen zu lange kopfüber hängen, entwickeln sie sich nicht. Die Pfleger müssen also sofort die obere Seite des Eis markieren und es vorsichtig umbetten, ohne es zu stark zu bewegen.

Diesmal hat es geklappt: Zwischen den Schaukästen mit Echsen und Fröschen führt eine versteckte Tür von der Ausstellungsfläche des Aquazoos in einen weiß gekachelten Raum und zu einem Terrarium, in dem kleine Leopardschildkröten derzeit fröhlich durch den Sand krabbeln. Für sie gehen die Pfleger jeden Tag im Nordpark Löwenzahn und andere Wildkräuter pflücken, die sie mit Vitaminen und Mineralien fürs Panzerwachstum besprühen. Und manchmal gibt es auch ein paar Apfelstücke. „Aber nicht zu viele“, sagt Honigs, „da ist Zucker drin.“

Gleich neben dem Terrarium stehen große Gitterkäfige, in denen prächtige, quietschgrüne Smaragdwarane zwischen Zweigen hervorlugen. „Das sind Diven“, erklärt Sandra Honigs. Bei der Paarung schätzen sie keine menschlichen Zuschauer. Also bekommen sie ihre Privatsphäre hinter den Kulissen — schließlich sind diese Echsen akut vom Aussterben bedroht. Honigs: „Da wollen wir auf Nummer sicher gehen.“

Dennoch: Eine Garantie gibt es für die Züchterin aus Leidenschaft nie. Seit vier Jahren hat sie ein Paar Hornvipern — aber Nachwuchs ist noch nicht in Sicht. Einmal hatte das Weibchen Eier gelegt, doch die waren nicht befruchtet. Warum? Keiner weiß es. Im Aquazoo scheint mitunter Murphys Gesetz zu regieren. Die niedlichen Zwergmangusten etwa hausten einst in einem sehr beengten Gehege „und sie haben sich vermehrt wie die Karnickel“, sagt Sandra Honigs. Seit acht Jahren haben sie ein neues Riesenterrarium in Wohnzimmergröße — und nicht ein Junges wurde mehr geboren.

Auch die Gundis hatten im vergangenen Jahr Pech: Die Mütter erlitten reihenweise Fehlgeburten — Grund unbekannt. Aber selbst im Falle erfolgreicher Fortpflanzung müssen die Pfleger mitunter blitzschnell reagieren. Wie im Falle der 13 Wasseragamen, die Anfang August im Schau-Terrarium geschlüpft sind. „Die Erwachsenen hätten sie gefressen“, sagt Honigs. Doch ihre Mitarbeiter waren schneller als der elterliche Appetit — die grünen Echschen haben überlebt und gedeihen jetzt in ihrem Käfig zwischen Jung-Geckos und Jung-Walzenskinken dank feinster Grillenkost hervorragend.

Andere Zuchterfolge bleiben den meisten Besuchern des Zoos vermutlich verborgen, obwohl sie sich direkt vor ihren Augen abspielen: Im Becken der Banggai-Kardinalbarsche schwimmen teils nur ameisengroße Babys zwischen den Stacheln großer Seeigel umher — mit ihren länglichen schwarzen Flossen und Streifen perfekt getarnt. Der Fisch kommt nur in einem kleinen Gebiet vor der indonesischen Insel Sulawesi vor und steht auf der Roten Liste. „Wir züchten ihn seit Jahren sehr erfolgreich nach“, sagt Sandra Honigs.

Die wahren Stars des Zuchtprogramms werden aber erst noch erwartet. Denn seit zweieinhalb Jahren wohnt an der Kaiserswerther Straße auch ein Stumpfkrokodil-Pärchen. „Das ist eine hochbedrohte Tierart aus Westafrika“, erklärt die Kuratorin. „Und sie haben gelegt!“ 13 Eier brüten seit Wochen in einem Inkubator vor sich hin. „Ende des Monats sollen die Jungtiere schlüpfen.“

Es wäre die Krönung einer schwierigen Liebe zwischen Kroko-Dame Paula aus Berlin und ihrem Ferdinand aus einem tschechischen Zoo. „Am Anfang haben sie sich überhaupt nicht vertragen“, erinnert sich Sandra Honigs. „Aber sie haben sich zusammengerauft.“

Der Niedlichkeitsfaktor wird auch bei Paulas und Ferdis Brut wohl eher gering ausfallen. Honigs und ihren Kollegen ist das egal. Sie werden sich jedes Mal freuen, wenn die kleinen Echsen aggressiv und kräftig nach ihren Fingern schnappen. So sieht eben Zieheltern-Glück in der Nische der Reptilien-Fans aus.

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