„Der Handwerkssektor boomt“

Herr Ehlert, Wie hat sich die Lage im Kammerbezirk in den vergangenen fünf bis zehn Jahren verändert?

Andreas Ehlert: Der Handwerkssektor boomt. Die Kapazitäten der Unternehmen sind vielfach voll ausgelastet. Das Handwerk wirkt in den letzten zehn Jahren als Schrittmacher der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an Rhein und Wupper, und hat beste Chancen, diese Position noch auszubauen. Dazu wollen wir gerne so viele junge Menschen wie möglich an uns binden und auf Basis unseres weltweit einmaligen Qualifikationsweges zu Autoren ihres eigenen Lebens machen.

Wie ist derzeit die Lage beim Ausbildungsmarkt im Bezirk der Handwerkskammer Düsseldorf?

Ehlert: Die Handwerkskammer Düsseldorf konnte in diesem Jahr Monat für Monat mehr Eingänge an neu abgeschlossenen Lehrverträgen als im Vorjahr verzeichnen. Das stimmt mich optimistisch, dass wir zum Stichtag 30. September, an dem für die ausbildende Wirtschaft bundesweit Bilanz zum neuen Ausbildungsjahr gezogen wird, mit einem Zuwachs an neu zustande gekommenen Ausbildungsverhältnissen im Handwerk abschließen können.

Worauf führen Sie die erfolgreiche Entwicklung zurück?

Ehlert: Ich werte den erreichbaren Aufwuchs bei den Neuaufnahmen als Erfolg unserer immer weiter ausdifferenzierten und intensivierten Beratung. Wir erreichen auf diese Weise Schüler und Schulabgänger, die Schulen selbst und die Eltern besser als noch vor Jahren. Das gilt vor allem für Abgänger aus weiterführenden Schulen, für junge Frauen und für Studienzweifler, die wir als Zielgruppen ganz besonders in den Blick genommen haben: In einer Stadt wie Düsseldorf kommen mittlerweile mehr als 30 Prozent der Lehranfänger mit Abitur oder Fachhochschulreife zu uns. Natürlich sind Bewerber mit anderer Vorqualifikation weiterhin hoch willkommen. Übrigens greift auch die Image-Kampagne des Handwerks mit dem Appell an die Generation U 24 „Einfach machen!“ wirklich gut. Die Botschaft mit dem Ziel, Hemmschwellen und Überforderung zu überwinden, kommt an.

In welchen Branchen und Berufen gibt es derzeit noch die besten Chancen, eine Lehrstelle zu bekommen?

Ehlert: In den Lebensmittelhandwerken, im Baugewerbe und hier vor allem Dachdeckerhandwerk; zunehmend melden auch Ausbaugewerke wie das Maler-/ Lackiererhandwerk und die Installateure und Heizungsbauer nicht besetzte Kapazitäten. Technikinteressierte junge Menschen sollten sich unbedingt mit den besonders tollen Chancen im stark boomenden Elektro- und Informationstechnischen Handwerk befassen, der Leitbranche der Digitalisierung in unserem riesigen Wirtschaftsbereich! Eine neuere Entwicklung betrifft das Friseurhandwerk, das bisher als Kreativberuf keine Nachwuchssorgen kannte. Ja, auch in diesem Trendberuf kann man sich prima verwirklichen.

Wie groß ist die Bereitschaft der Betriebe auszubilden?

Ehlert: Sie wächst eher noch. Denn der Arbeitsmarkt für Fachkräfte aus dem Handwerk ist leer gefegt.

Wie stark wirkt sich der Fachkräftemangel bereits bei der Ausbildung aus?

Ehlert: Er frustriert nicht nur viele ausbildende Arbeitgeber aus dem Handwerk, sondern beeinträchtigt inzwischen die Existenz so manchen Unternehmens. Wir haben bei der Analyse unserer Jahresbilanz 2016 als Wirtschaftssektor festgestellt, dass trotz steigender Umsätze und weiter wachsender Produktivität Betriebs- und Mitarbeiterzahlen in 2016 leicht zurückgegangen sind. Inzwischen wächst der Unternehmensbestand zum Glück wieder.

Warum macht es für Abiturienten Sinn, statt eines Studium sich für eine Ausbildung im Handwerk zu entscheiden?

Ehlert: Ein Handwerk bildet den ganzen Menschen aus. Können ist mehr als theoretisches Wissen und funktioniert wesentlich über Begreifen. Technikbeherrschung ist essenzielle Kulturtechnik - nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch individuell, und deshalb auch ein besonders erfüllender Berufsweg. Immer mehr junge Leute erkennen diesen Zusammenhang, teils leidvoll, weil sie zu sehr auf einen solchen theorielastigen, hochschulischen Ausbildungsweg hin gelenkt worden sind. In Deutschland hat die Bildungspolitik jahrelang zu sehr auf Akademikerzuwachs geachtet und zu wenig auf die glänzenden Perspektiven mit gewerblich-technischem Qualifizierungsabschluss. Der Fehler ist erkannt und muss jetzt korrigiert werden.

Was kann getan werden, um mehr junge Menschen von der Ausbildung im Handwerk zu überzeugen? Wo muss man hier ansetzen?

Ehlert: Alle Beteiligten in Wirtschaft, Politik, Schule und Gesellschaft sind gefragt, die Gleichwertigkeit der dualen und der hochschulischen Bildungsoption glaubwürdig — das heißt: lebens- und praxisnah — zu vermitteln. Wer die Erfahrung des Glücks der Herstellung eines perfekten Produkts aus eigener Hand gemacht hat, der will diese Erfahrung nicht mehr missen. Deshalb müssen auch weiterführende Schulen: Gymnasien und die Abiturszweige der Gesamtschulen künftig verbindlich ihren Schülern ein Werkkunde-Angebot machen.

Warum birgt der scheinbar „bequemere Weg“ zum Berufskolleg Risiken für Schulabsolventen?

Ehlert: In der Tat haben sich viele Berufskollegs im Wettbewerb durch zusätzliche, rein schulische Ausbildungsgänge am Bildungsmarkt zu profilieren gesucht. Der große Vorzug einer dualen Berufsausbildung im Betrieb besteht jedoch im Lernen in „Echtzeit“, am konkreten Kundenauftrag. Diese Bewährung in der betrieblichen Alltagshärte macht handwerkliche Auszubildende wetterfest und breit einsetzbar. Das wissen und fordern auch einstellende Arbeitgeber und suchen deshalb genau diese Qualität.

Wie gut konnten bislang junge Flüchtlinge in den Ausbildungsmarkt integriert werden?

Ehlert: Ich bin stolz, dass das Handwerk unverändert hohe Bereitschaft zur menschlichen und beruflichen Integration zeigt. Denn es hat gedauert, und dauert zum Teil immer noch, bis vor Ort geordnete Verfahren der Anerkennung, Sprachvermittlung und Berufshinführung geschaffen worden sind. Speziell die Kreishandwerkerschaften, also die Innungsverbünde vor Ort, packen enorm an. Sie sorgen vor allem für Einstiegqualifizierungen, welche auch verstärkt genutzt werden und gerade bei dieser Gruppe der richtige Weg hin zu einer normalen Ausbildung sind. Machen diese jungen Menschen ihren Weg im Handwerk, dann ist für das kommende Jahr eine deutlichere Steigerung der Ausbildungsverhältnisse aus den Reihen der zu uns Geflohenen zu erwarten.

Welche Chancen hat man jetzt noch, einen Ausbildungsplatz zu finden?

Ehlert: Beste. Unsere elektronische Ausbildungsbörse weist noch mehr als 700 Offerten in mehr als 70 Ausbildungsberufen vom Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik bis zum Zweiradmechatroniker aus.

Wie unterstützt die Kammer junge Menschen bei der Suche nach einer Lehrstelle?

Ehlert: Auf vielfältige Weise: Wir helfen unter anderem, den passenden Ausbildungsberuf und —Betrieb zu finden, gleichen die Profile von Anbietern und Bewerbern miteinander ab, vermitteln Praktikumsmöglichkeiten und schließen Studienabbrecher für die Karrierealternative im Handwerk auf.

Was bietet hier der „Tag des Handwerks“ auf dem Schadowplatz?

Ehlert: Unser jährlicher Tag der Begegnung fokussiert in diesem Jahr auf griffige Informationen zum Karriere-Kosmos Handwerk. Wir haben dazu gezielt zwei publikumsstarke zentrale Orte in Düsseldorf ausgewählt, den Heinrich-Heine-Platz und die Schadowarkaden. Was ist das Besondere, das Reizvolle an ganz konkreten Handwerksberufen? Das wollen wir fassbar machen. Und Interessenten konkrete Tipps für ihre Bewerbung mitgeben, Teile eines Knigge-Kurses zum Mitmachen durchführen, und für die Meisterausbildung in den Schönheits- und technischen Berufen des Handwerks werben.

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