Leben mit Autismus Das Leben mit einem „Asperger-Kind“

Tim (13) hat Asperger - eine Form von Autismus. Seine Mutter hat die Erfahrungen jetzt in einem Buch verarbeitet.

Leben mit Autismus: Das Leben mit einem „Asperger-Kind“
Foto: Fischer

Düsseldorf. Die ersten Zweifel kamen Stephanie Fischer, als ihr Sohn mit drei Jahren in den Kindergarten kam. Tim war anders als die anderen Kinder. Er reagierte extremer, impulsiver. Als sich sein Körper bei den häufigen Wutanfällen immer mehr verkrampfte, ihm Arme und Beine nicht mehr zu gehorchen schienen, schaltete die Düsseldorferin Kinderärzte ein. Die Diagnose: Asperger — Tim leidet unter einer Form von Autismus. Stephanie Fischer hat ihre Erfahrungen mit einem sogenannten Asperger-Kind jetzt in einem Buch verarbeitet.

Für Stephanie Fischer kam die Diagnose überraschend. Ein Schock war es nicht. „Ich war eher erleichtert, weil man das Ding jetzt beim Namen nennen konnte“, sagt sie. Im Kindergarten hatte sie zusehen müssen, wie Tim unter seinen Wutanfällen litt. „Alle Kinder haben Trennungsängste, wenn sie das erste Mal in den Kindergarten kommen. Mein Sohn aber war extrem. Wenn ich ihm dort Hausschuhe anzog, wurde er wütend, schrie und warf mit Gegenständen um sich“, erinnert sich die 42-Jährige.

Auch der Kontakt zu anderen Kindern fiel Tim schwer, er blieb für sich oder reagierte auf andere Kinder impulsiv, attackierte sie. „Das waren seine Versuche der Kontaktaufnahme, er wusste einfach nicht, wie man auf andere Menschen zugeht“, weiß Fischer heute. Erst als Tim Krampfanfälle bekam, wenn er sich aufregte, suchte sie Rat bei einem Kinderarzt, der sie ans Sozialpädiatrische Zentrum vermittelte. „Dort wurde erstmals die Vermutung geäußert, dass es Asperger sein könnte.“

Tim besuchte eine Ergotherapeutin, die mit ihm Übungen zur Motorik, Wahrnehmung, zum Sozialverhalten und zur Konzentration machte. „Das lief eigentlich ganz gut. Bis sich im Kindergarten Veränderungen abzeichneten und Tims Ausraster extremer und häufiger wurden. „Seine Gruppenleiterin im Kindergarten ging, und die Einschulung stand bevor. Das konnte mein Sohn nicht verarbeiten. Er zerstörte Dinge, griff andere Kinder an. Es kam zu gefährlichen Situationen“, sagt Stephanie Fischer. Immer häufiger wurde Tim dann ins Büro der Kindergartenleitung gesetzt, um andere Kinder vor ihm zu schützen. „Da tat er mir oft sehr leid. Aber ich wusste auch, dass der Kindergarten das nicht länger leisten kann.“ Der Düsseldorferin graute es vor der Suche nach einer geeigneten Grundschule.

Eine Förderschule kam für sie aber nicht in Frage. „Für mich stand immer fest, dass mein Sohn sehr clever ist und er locker eine Regelschule besuchen kann“, sagt Fischer. Gleichzeitig war ihr klar, dass ihr Sohn individuelle und intensive Betreuung braucht.

Tim bekam einen Integrationshelfer zur Seite gestellt. „Der Schulanfang war dennoch eine Katastrophe. Eigentlich das komplette erste Schuljahr.“ Die Vorstellung, dass der Integrationshelfer Tim in heiklen Phasen ab und zu aus der Klasse nimmt und auf ihn eingeht, wich der Realität, dass Tim kaum tragbar für den Klassenverband war und ausschließlich in Einzelbetreuung verbrachte. Immer wieder wurde Stephanie Fischer in die Schule zitiert, um ihr klar zu machen, dass Tim eine andere Schule besuchen muss. „Aber ich wollte ihn davor bewahren, sich schon wieder woanders neu eingewöhnen zu müssen“, sagt Tims Mutter.

Auf Medikamente hatte sie bis dahin komplett verzichtet. Schließlich aber sah sie keine andere Möglichkeit mehr. „Ich wollte meinem Kind ermöglichen, zu zeigen, was in ihm steckt. Dass er Stifte nicht nur zerstören, sondern auch benutzen kann, um ganze Sätze zu schreiben.“ Für Tims Mutter war es ein schwerer Schritt, ihrem Sohn Medikamente zu verabreichen.

Doch sie halfen ihm, seinen Körper zu kontrollieren. „Ich möchte ganz sicher keine Lanze für die Medikamente brechen. Aber für uns war es an dieser Stelle die richtige Entscheidung. Er war so stolz auf seine ersten Erfolgserlebnisse.“ Ab dem zweiten Schuljahr klappte es schließlich bestens: Wenn Tim seine Auszeiten brauchte, war sein Integrationshelfer zur Stelle. Doch immer seltener kam er zum Einsatz.

Erst als der Wechsel auf die Gesamtschule anstand, machte sich bei Tim wieder Panik breit. Obwohl er seinen Integrationshelfer aus der Grundschule mitnehmen konnte, brach sein Immunsystem beim Schulwechsel zusammen: Monatelang war Tim krank.

Mittlerweile hat sich der 13-Jährige gefangen. „Er hat sich toll entwickelt, ist sehr selbstständig geworden“, sagt seine Mutter. Tim geht gut auf andere Menschen zu, braucht seit Monaten keinen Integrationshelfer oder Medikamente mehr. Er selbst wollte das nicht mehr. Er wollte keine Sonderrolle mehr einnehmen. Der Alltag bleibt dennoch für seine Mutter eine Herausforderung. „Es bleibt ein Auf und Ab“, sagt sie und seufzt tief. Der Stadt Düsseldorf, ihren Unterstützungs- und Beratungsangeboten stellt die 42-Jährige ein sehr gutes Zeugnis aus. „Ich habe mich immer sehr gut unterstützt gefühlt. Das ist sehr viel wert.“

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