Das Gefühl der Ohnmacht ist wieder da

Seit 20 Jahren kümmert sich ein Düsseldorfer Verein um die Opfer des Super-Gaus. Jetzt werden Erinnerungen wach.

Düsseldorf. Vor 24 Stunden war Angela Nagel noch in Weißrussland, um den nächsten Erholungsaufenthalt von Kindern aus der Nähe von Tschernobyl in Düsseldorf zu organisieren, da erhält sie am frühen Samstagmorgen die SMS: „Es gab wieder ein Unglück in einem Atomkraftwerk, diesmal in Japan.“ Nagel erinnert sich an das Gefühl von Ohnmacht und Trauer, das sie hatte, als sie vom Reaktorunglück in Tschernobyl erfuhr. Seit Samstag ist dieses Gefühl wieder da.

Seit 1991 gibt es den Verein „Kinder von Tschernobyl“ in Düsseldorf, 1996 fuhr Angela Nagel, heute Vorsitzende des Vereins, zum ersten Mal nach Weißrussland — auch im Nachbarland der Ukraine leiden Kinder unter der Reaktorkatastrophe von 1986.

Tausende Kinder hat der Verein seitdem in die Landeshauptstadt geholt, die nächste Gruppe kommt im Juni. Alle Kinder haben eines gemeinsam: „Sie haben ein geschwächtes Immunsystem, wie fast alle in der Region dort“, sagt Nagel. Die Kinder im Alter von neun bis zwölf Jahren sind zwar geschwächt, aber nicht akut krank.

Es gibt so schon genügend zu bewältigen für die 50 Mitglieder des Vereins. Das Leben in den Gastfamilien muss organisiert werden, die Kinder brauchen Betreuer, Dolmetscher, ärztliche Versorgung. In Deutschland werden sie, die mit nicht viel mehr als ihren Kleidern am Leib ankommen, neu eingekleidet. „Ihre Kleidung ist ärmlich, die Schuhe fast immer reparaturbedürftig“, hat Angela Nagel festgestellt.

Seit 1996 hat sie immer wieder Elend und Armut bei ihren Besuchen in Weißrussland erlebt, viele ihrer Bekannten vor Ort sind an Krebs gestorben. Während dort das Leiden weitergeht, hat der Verein in Düsseldorf ein ganz anderes Problem: „Tschernobyl ist schon lange aus der Öffentlichkeit verschwunden. Vielleicht finden wir deswegen heute immer weniger Gasteltern, die Kinder aufnehmen wollen.“

Auch Barbara Gladysch hat sich lange für den Verein engagiert. Sie erinnert sich gut an die „Verbotene Zone“ um die Reaktorruine und die Stille im menschenleeren Raum. Jahrelang hatte sie einen Antrieb für ihre Arbeit. „Ich wollte etwas Positives in die Kinder pflanzen, etwas, an das sie sich ein Leben lang erinnern.“

Die Bestätigung für ihren Einsatz kam von einem ehemaligen „Kind von Tschernobyl“, das sie zufällig wiedertraf. „Wenn ich traurig bin“, sagte er, „denke ich an die Zeit in Düsseldorf. Das war wie das Paradies.“

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