Familiengeschichte in Düsseldorf Ben Beckers Oma betrieb ein Altstadt-Lokal

Die Familiengeschichte des Schauspielers führt auch nach Düsseldorf. Zurzeit tritt er in der Johanneskirche auf.

Ist erneut mit „Ich, Judas!“ in Düsseldorf: Ben Becker. Links eine Autogrammkarte seiner Großmutter, die einst in der Altstadt auftrat.

Ist erneut mit „Ich, Judas!“ in Düsseldorf: Ben Becker. Links eine Autogrammkarte seiner Großmutter, die einst in der Altstadt auftrat.

Foto: dpa/Wikimedia

Düsseldorf. Er freue sich, zum zweiten Mal nach Düsseldorf eingeladen worden zu sein mit seinem Programm „Ich, Judas“ erklärte Ben Becker jüngst in einem Interview. Das Thema, vielmehr die Themen Verrat, Schuld, Moral sind stets aktuell. Der Zeitpunkt — kurz nach Karneval, nicht mehr lange bis Karfreitag — passend, ebenso die „Location“, die evangelische Johannes-, die gleichzeitig eine lebendige City-Kirche ist, in deren Großraum auch oft Jazz erklingt.

Bereits seit 2008 liest Ben Becker, gesegnet mit einem biblischen Bass, erfolgreich aus der Bibel, auch schon auf dem Katholikentag. Ein Exemplar liege ständig auf seinem Nachttisch, soll er mal gesagt haben. In seinem aktuellen Programm, das ursprünglich nur für eine einmalige Aufführung gedacht war, führt er selbst Regie. Die Tournee ist erfolgreich, fast überall ausverkaufte Gotteshäuser.

Auch deshalb: Ben Becker spricht den Judas in jedem an. Er selbst ist auf der Bühne nicht nur Judas, er ist auch ein ziemliches „Ich“, wenn er auftritt, barfuß und in weißem Wallegewand und die Zuschauer andonnert, gefälligst ihre Handys während seines Vortrags auszustellen. Die Leute wollen in ihm vielleicht auch den nach etlichen exzessiven Lebensphasen mit Drogen und Alkohol vermeintlich wieder auferstandenen Sünder sehen. Das Publikum liebt bekanntermaßen solche Stehauf-Männer, wie auch Harald Juhnke einer war.

In Beckers stimmgewaltigem Auftritt werden die Zuschauer konfrontiert mit dem Verrat, der Schuld des Jüngers Judas, der Jesus mit einem Kuss verraten und damit ans Kreuz gebracht hat. Ben Becker verteidigt den Verräter auf der Bühne, auch kraft seiner eigenen Persönlichkeit und der starken Texte des 2013 verstorbenen Bibelkundigen Walter Jens und des israelischen Heinrich-Heine-Preisträgers Amos Oz.

Auch in Ben Beckers Familiengeschichte gibt es Spuren von Verrat. Seine Großmutter Claire Schlichting stammte aus Wuppertal, wo sie 1905 als uneheliches Kind eines jüdischen Kaufmanns und einer Lehrertochter zur Welt kam. Ihre Tochter Monika Hansen aus zweiter Ehe mit Erik Hansen ist die Mutter von Ben und der Schauspielerin Meret Becker, ihr Vater ist Rolf Becker.

Ben Beckers prägende Vaterfigur sollte dann allerdings sein Stiefvater sein, der 2013 verstorbene Otto Sander sein. Die Süddeutsche Zeitung schrieb nach seinem Gastspiel im Berliner Dom, dass Becker mit seinem Oberlippenbart Sander inzwischen ähnele.

Bens Großmutter Claire Schlichting wurde in den letzten Kriegsjahren als „Mischling“ denunziert und verhaftet. Über ihre angebliche Zeit in einem Konzentrationslager ist jedoch nichts näher bekannt. Becker bemerkte einmal im Zusammenhang mit einem Gedicht von Paul Celan: „Die Todesfuge ist eine Zustandsbeschreibung. Meine jüdische Großmutter Claire Schlichting hat es erlebt. Sie ist gerade noch so durch die Tür gekommen.“

Und zu Beginn der 50er Jahre ist Claire Schlichting dann zurückgekommen ins Rheinland. Ältere Düsseldorfer werden sich noch an Beckers Oma erinnern, auch und gerade zur Karnevalszeit: Claire Schlichting betrieb in den 50er Jahren ein beliebtes Altstadt-Lokal an der Rheinstraße, die „Wichsdos“ (übersetzt etwa Schuhcreme- oder Bohnerwachs-Dose), eine Art Kabarett, das bekannt war für seine schlüpfrigen Texte. Die Bühne dort — auch schon mal die eine oder andere „Bütt“ beherrschte hemmungslos Alleinunterhalterin Claire als „komische Alte“. Es gab kein festes Programm, jeder Abend war eine Überraschung. Zu Altweiberfastnacht feierten die Möhne traditionell ihr Finale in der Wichsdos.

Schlichting war Ehrenmitglied der GKG Rheinischen Garde Blau-Weiß und nahm mehrere Schallplatten auf. Mindestens eine wurde vergoldet: „Claire Schlichting — wie sie singt und lacht“. Teil 2 ihrer „Frechheiten mit Herz“ trug den Vermerk: „Für Jugendliche unter 18 Jahren nicht geeignet.“ Auf einer Tournee durch Südafrika lernte Schlichting den Herz-Spezialisten und -Verpflanzer Christian Barnard kennen. Dessen Angebot, auch ihr bei Bedarf ein neues Herz einzupflanzen, soll die Komikerin abgelehnt haben mit der Begründung, ihr Herz sei zu groß. Sie starb 1978 in Berlin, wo sie begraben ist und Ben Becker heute lebt. Auf den Bengel wäre sie sicher stolz gewesen.

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