Kultur Ballettchef erzählt ein dunkles Märchen

Das Ballett am Rhein zeigt am Samstag ein neues Stück von Martin Schläpfer. Der arbeitet bereits am berühmten Klassiker Schwanensee.

Kultur: Ballettchef erzählt ein dunkles Märchen
Foto: Gert Weigelt

Düsseldorf. Der moderne Mensch mit all seinen Unsicherheiten steht im Mittelpunkt nahezu aller Werke von Martin Schläpfer, Chefchoreograf des Balletts am Rhein. Auch am Samstag, wenn sein Werk „Obelisco“ in Düsseldorf Premiere feiert. Das Stück entstand bereits 2007, für die aktuelle Aufführung hat Martin Schläpfer ein Drittel seines Ursprungswerks neu kreiert. Die Tänzer bewegen sich in dem Spannungsfeld von Individualität und dem Bedürfnis nach Gemeinschaft. Das Ganze hat Schläpfer auf Musik mit ordentlich Farbe choreografiert. Die ausgewählten Kompositionen reichen von Mozart bis Marla Glen. Schläpfer wendet sich stets gegen Eindeutigkeit, weil das Leben nicht eindeutig ist. Ihn interessieren die Zwischenräume, in welchen er umherreist, um zu erfassen, was den Menschen bewegt, zu lieben, zu trauern, überschwänglich oder voller Angst zu sein. Wohl auf einer dieser Gedankenflüge ist er bei einem der berühmtesten Ballette der Welt hängengeblieben: Schwanensee. Wie erst vor wenigen Tagen bekannt wurde, wird Schläpfers Version im kommenden Jahr uraufgeführt. Die Vorbereitungen sind bereits in vollem Gange.

Herr Schläpfer, mit Schwanensee beginnt für viele Menschen die Liebe zum Ballett. Können Sie sich noch an Ihr erstes Mal erinnern?

Martin Schläpfer: Ich habe es damals als Tänzer nicht sonderlich gemocht. Giselle ist viel eher meins, das habe ich auch eher gesehen. Schwanensee habe ich jedoch getanzt, bei Spoerli in Basel.

Wie war das Finale? Hollywood- oder existenzialistischer Schluss? Es gibt ja unterschiedliche Traditionen.

Schläpfer: Spoerli hat es abstrakt gelöst. Es gab kein Happy End. Auch im Libretto löst es sich in der Musik nicht als glückliches Ende auf. Das Wasser nimmt sich den Prinzen und die Schwanenprinzessin, was in einem Märchen wie Schwanensee nur folgerichtig ist. Wir haben es hier ja nicht mit einer Liebe wie bei Romeo und Julia zu tun, die aus gesellschaftlichen Gründen nicht real zu leben war.

Das Stück gilt als Archetyp des Balletts. Warum?

Schläpfer: Vielleicht liegt es an dem Typus der Ballerina, die im Schwanensee auftritt. Sie ist mal entrückt, mal dämonisch. Romantisch klassische Tänzerinnen wie Carlotta Grisi oder Marie Taglioni wurden vergöttert wie Maria Callas.

Was reizt Sie an Schwanensee?

Schläpfer: Bestechend sind der zweite und der vierte Akt mit den unbewussten und mythischen Inhalten; wenn sich das Ätherische der Vogelwesen entfaltet, die halb Mensch und halb Tier sind und jeder Sexualität entladen wurden. Hier ähneln sich Schwanensee und Giselle in ihrer Vielschichtigkeit. Jedoch ist Tschaikowsky ein anderes Kaliber als Adolphe Adams Musik für Giselle.

Welche Geschichte werden Sie erzählen?

Schläpfer: Ich will das Originallibretto erzählen, also die ganze Geschichte der Schwanenprinzessin. Mir geht es nicht darum, eine Essenz herauszuarbeiten, denn dann müsste man das Stück auf 40 Minuten kürzen.

Was kann man diesem vielgedeuteten Stück noch abringen?

Schläpfer: Ich kann darüber noch keine genaue Auskunft geben. Die originale Choreografie von Petipa und Iwanow wird auf jeden Fall nicht nachgestellt. Ich strebe eine Neuauslegung an, mit allem Respekt und hoffe, dass mir eine Version gelingt, die standhalten kann.

In Ihren Werken geht es stets um den modernen Menschen. Wo findet er im Schwanensee seinen Platz?

Schläpfer: Es ist nicht Aufgabe von Schwanensee, herauszuarbeiten, was wir als heutig empfinden. Hier geht es um die Imagination, das Andersweltige. Der Mensch ist in der Natur zu Hause, hat Kultur, aber auch Aberglauben. Auch habe ich nicht vor, einen überlabilen Siegfried mit einem Mutterkomplex zu zeichnen.

Die technisch anspruchsvolle Rolle der Schwanenprinzessin adelt die Ballerina. An der Pariser Oper wird bis heute das gelungene Debüt mit der Ernennung zum Etoile, also zur ranghöchsten Solistin, belohnt. In dem Kinoerfolg „Black Swan“ gibt Natalie Portman ihr Leben, um die Hauptrolle tanzen zu dürfen. Wie viel Wahres ist daran?

Schläpfer: Ich weiß es nicht, ich habe den Film nicht gesehen. Das trifft gewiss auf Tänzer zu, die im Schulsystem des Royal Ballett oder an der Pariser Oper groß geworden sind. Frauen, denen diese Rolle alles bedeutet, wären nicht bei mir in der Compagnie. Natürlich sind die 32 Fouettés (spezielle, schnelle Drehungen, Anm. d. Red.) im dritten Akt in ihrer Aussagekraft wichtig. Mich interessiert das jedoch nicht und es wird sie bei mir auch nicht geben.

Die Person der Schwanenprinzessin ist zweigeteilt: Auf der einen Seite Odette, der weiße edelmütige Schwan, auf der anderen Seite Odile, ihr diabolisches Pendant. Meist wird die Figur von ein- und derselben Ballerina getanzt. Wie werden Sie es halten?

Schläpfer: Ich trenne die Rolle. Odette und Odile sind zwei Paar Schuhe, sind Tag und Nacht.

Sie leiten das Ballett am Rhein seit 2009 und haben es die ganzen Jahre abgelehnt, ein Handlungsballett zu machen. Jetzt wagen Sie sich ausgerechnet an Schwanensee. Kommen Sie damit auch Publikumswünschen entgegen?

Schläpfer: Ich wusste nicht, dass sich das Publikum Schwanensee wünscht. Das Warten hatte andere Gründe. Man muss das Gefühl in sich tragen, dass man es kann. Ich war lange mit Dornröschen beschäftigt, fand es von den klassischen Balletten am abstraktesten angelegt. Es kann daher leichter nur über Tanz erzählt werden. Schwanensee jedoch ist reicher an Symbolen und hat dunklere und geheimnisvollere Märchen-Anteile. Dornröschen ist licht, Schwanensee dionysischer!

Sie haben Florian Etti als Bühnenbildner gewählt, mit dem Sie schon mehrfach zusammengearbeitet haben. Er dürfte auch ein Garant dafür sein, dass es nicht kitschig wird.

Schläpfer: Florian hilft mir dabei, das Stück anders anzugehen. Ich will keine sterile Traumwelt. Vor allem aber hat er ein unglaubliches Gefühl für Räume und ist in der Lage, auch unsere eher kleine Bühne so zu gestalten, dass man das Gefühl von Weite, von Raum hat. Und natürlich ist Axel Kober als musikalischer Leiter überaus wichtig.

Die Auswahl von Schwanensee fällt in eine kulturpolitisch bedeutsame Zeit. Im Rathaus wird über die Zukunft der Leitung von Oper und Ballett gesprochen. Man wünscht, dass diese Geschichte über 2019 hinaus weitergesponnen wird. Sie auch?

Schläpfer: Ich muss mich dazu noch enthalten. Ich bin noch nicht so weit, es öffentlich zu machen.

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