Tanztheater Ballett-Premiere in Düsseldorf: Tanzkunst aus einer Welt im Zwielicht

Das Ballett am Rhein zeigt einen neuen dreiteiligen Tanzabend. Die dunkle Uraufführung von Martin Schläpfer steht zwischen zwei wolkenlosen Stücken von George Balanchine und Hans van Manen.

Tanztheater: Ballett-Premiere in Düsseldorf: Tanzkunst aus einer Welt im Zwielicht
Foto: Gert Weigelt

Düsseldorf. Die Bühne schlicht und kühl, Tänzer in schwarz-weißen Trikots, aufgestachelt von dem spannungsgeladenen Violinkonzert Igor Strawinskys. Paare versinken in Hingebung zueinander, um schon im nächsten Moment anderen Tänzern in neue Konstellationen zu folgen, die angelegt sind, die stimulierenden Rhythmen der neoklassizistischen Komposition sichtbar zu machen.

Um Gefühle geht es hier nicht, im Zentrum steht der reine Tanz, kraftvoll, elegant und anmutig. Mit George Balanchines „Stravinsky Violin Concerto“ beginnt der neue Ballettabend der Deutschen Oper am Rhein, der einmal mehr die Virtuosität des Ballettensembles vor Augen führt.

Die Compagnie unter ihrem künstlerischen Direktor Martin Schläpfer interpretiert die großen Werke der modernen Tanzwelt hochinteressiert und unmissverständlich, ihre Musikalität ist bestechend und an diesem Abend besonders gefordert von den Choreographen George Balanchine, Martin Schläpfer und Hans van Manen.

Das neue Programm ist eines, das ans Licht und in die Dunkelheit führt und für diejenigen erdacht ist, die keinen Klimawechsel scheuen, den Martin Schläpfers Uraufführung „Roses of Shadow“ auslöst. Wie einen Pflock treibt er seine neueste Kreation zwischen die wolkenlosen Stücke von Balanchine und van Manen und inszeniert eine dämmrige Welt, in der im Hintergrund geheimnisvolle Kräfte wirken.

Das Zwielicht zieht Schläpfer an. In vielen seiner Werke geht es um die Kluften des Daseins, die auf Fragestellungen der Gegenwart verweisen. Insofern ist Schläpfer ein zutiefst politischer Choreograph, den die Selbstbehauptung des Einzelnen in einer labilen Weltordnung ebenso beschäftigt wie die aus dem Gleichgewicht geratene Ökologie. Um sie geht es in „Roses of Shadow“. Der Titel des Stücks ist dem 67. Sonett William Shakespeares entnommen, das vom Verfall und Verwelken handelt, dem Zustand zwischen Leben und Tod.

Die Musik zu „Roses of Shadow“, eine Auftragskomposition, schuf Adriana Hölszky. Schläpfer hat mit ihr in Düsseldorf bereits 2014 für sein Werk „Deep Field“ gearbeitet. Sie ist eine ideale Partnerin, denn sie verwirklicht auf musikalischer Ebene, was auch Schläpfer will: in Zwischenräume vordringen.

Den beiden Künstlern darin zu folgen, ist allerdings eine Herausforderung, die schwer zu meistern ist. Ohne den Tanz zuvor zu kennen, formte Adriana Hölszky für „Roses of Shadow“ einen Klangkosmos in ungewöhnlichen instrumentalen Farben. Sie schichtet Schlagzeug auf Streicher, Akkordeon auf Schlagzeug, Wortfetzen auf Mundharmonika, erzeugt manchmal Musik, meist Geräusche.

Eine Sopranistin raunt oder ruft Gedichte, indianische Hommagen an die Natur, in den Saal, während auf der Bühne Tänzer in kleinen Gruppen zusammenkauern oder als Formationen in Unruhe verfallen. Den Boden verlassen sie so gut wie nie, fixiert vom Plié, das sie während der gesamten 45 Minuten nur selten aufgeben.

Schläpfer, dem das Ballettvokabular als Kern seiner Arbeit alles ist, löst sich von den Formen und reduziert die klassische Bewegungssprache auf Fragmente. Wenn man so will, ist dies eine Analogie zu einer maroden Zivilisation, die verlernt hat, Bedeutung und Schönheit der Natur wertzuschätzen. Schläpfer offenbart einen schwermütigen Blick auf die Welt, dem er als Balsam Hans van Manens „Polish Pieces“ verordnet. Mit dem Stück des Niederländers endet der Abend. Zehn Minuten lang zelebriert der Grandseigneur des modernen Balletts die Verlockungen des Tanzes. Sechs Frauen und sechs Männer in farbigen Ganzkörpertrikots entwickeln eine ungeheure Dynamik in ihrem Einander-Zugewandt-Sein. Fechten sorglos erotische Kämpfe aus, um sogleich wieder Distanz einzunehmen. Nicht eine Sekunde lässt die Spannung in diesem Hochgeschwindigkeitsgefüge nach, das die Musik des polnischen Komponisten Henrik M. Górecki aufs Schönste befeuert.

Das Publikum feiert den Abend ausgelassen, nach Schläpfers Uraufführung bleiben ein paar Plätze frei, für van Manen gibt es stehende Ovationen.

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