Düsseldorf Ausverkauf: Kaiser’s wird geplündert

In einigen Filialen gibt’s zum Schluss 50 Prozent Rabatt auf alles. Das lockt die Schnäppchenjäger in Massen und sorgt für bizzarre Szenen.

Düsseldorf: Ausverkauf: Kaiser’s wird geplündert
Foto: Michaelis

Düsseldorf. Der Wahnsinn bricht gesittet aus. 150 Menschen haben sich Freitag früh vor Kaiser’s an der Lindemannstraße positioniert, als die Türen sich erstmals öffnen, strömen sie einigermaßen ruhig in den Supermarkt. Heute gibt’s alles zum halben Preis. Total-Ausverkauf. Dann schließt auch dieser Kaiser’s, in drei Wochen öffnet ein Netto-Discounter an gleicher Stelle.

Nur wer ganz früh da ist, hat noch einen Einkaufswagen ergattert. Die anderen haben sich mit Trollys, richtigen Reisekoffern oder den blauen Ikea-Säcken bewaffnet, um so viel Beute wie möglich mitnehmen zu können. Um 8.20 Uhr schließt die Security den Eingang, von nun an dürfen nur noch so viele Leute rein, wie zuvor rauskommen. Es geht zu wie an Altweiber auf der Ratinger Straße.

Viele Strategen sind gekommen. Obst und Gemüse lassen sie links liegen, das Marmeladenregal ist das erste reizvolle Ziel. Alle Nutella-Gläser sind nach zwei Minuten weg. Gleich nebenan Kaffee, ein eher teures Produkt. Männer und Frauen drängeln sich, recken sich nach jeder Packung, auch hier gilt bald: Ausverkauft. Alles weg.

Paare sind im Geschäft, ganze Familien mit Kindern. Man teilt sich den Beutezug auf, schwärmt auseinander, Späher werden gleich hinten durch zum Kühlregal geschickt. Alle wollen Butter, Butter ist gerade richtig teuer. Ein bärtiger Mann schnappt sich die letzten Stücke, wirft sie seiner Frau in den Korb: „Lassen Sie mir doch wenigstens eins übrig“, bittet ihn eine verzweifelte Frau. Der Mann gibt ihr das Stück aus dem Allgäu, 89 Cent statt 1,79.

Eine junge Frau mit Kopftuch leistet Unglaubliches: Sie bugsiert 14 (!) Kästen Pils durch den schon um 8.15 Uhr völlig überfüllten Laden. Vier stehen auf dem Einkaufswagen, zwei Fünfer-Türme schiebt sie mit den Füßen Zentimeter für Zentimeter voran. Ihr Mann ist auch am Start, macht aber lieber Jagd auf Süßigkeiten: „Wir haben ein Büdchen in Wersten, das lohnt sich richtig für uns“, erklärt sie. Die Kiste mit 20 Flaschen nehmen sie heute für 6,50 Euro mit; im Kiosk verkaufen sie eine Flasche für 1,30 Euro.

Ist das alles „Geiz ist geil“? Oder treibt Armut, echter Sparzwang die Menschen zu Kaiser’s? Beides. Dass hier weniger die gut betuchten Nachbarn aus dem Zooviertel in die Regale greifen, ist offensichtlich. „Die meisten Gesichter habe ich noch nie gesehen“, sagt eine ältere Kassiererin. Eine Dame widerspricht: „Ich kaufe hier seit Jahren. Und es wäre nett von Kaiser’s gewesen, wenn es für Stammkunden einen Vorab-Verkauf gegeben hätte.“

Einigen Kunden sieht man an, dass sie auf solche Sonderangebote angewiesen sind, vor allem wenn es die Markenware sein soll. „Ich hab eben keine Kohle“, sagt ein Mann in schwarzer Bomberjacke auf die Frage, warum er sich das heute früh antut. Sein Wagen allerdings ist voll mit Waschpulver, Konserven und Tierfutter, an der Kasse wird er sicher 100 Euro zahlen müssen — trotz halbem Preis.

Manches findet reißenden Absatz, anderes wird ignoriert. Zigaretten sind gar nicht im Angebot, auch Spiel- und Prepaid-Karten nicht. An der Frischfleischtheke geht’s von Anfang an zur Sache — selbst das Rinderfilet (19,90 Euro im Kilo) ist rasch weg. „Wenn das so weiter geht, können wir heut’ mittag Feierabend machen“, sagt der Fachverkäufer zur Kollegin. An der Tiefkühltruhe scheiden sich die Hamstergeister: Manche greifen beherzt nach Pizza, Pommes und Fischstäbchen, andere sind skeptisch: „Bis du damit aus dem Laden bist, ist es aufgetaut“, sagt ein Mann.

Wein wird zunächst wenig gekauft, dabei ist der Kaiser’s da ordentlich sortiert. Hochprozentiges geht besser, auch Hochpreisiges. Der Gordon’s Gin ist gleich ausverkauft, die billigere Alternative wird verschmäht. Champagner ist ebenfalls begehrt. Doch beim Warten aufs Bezahlen kommen manche ins Grübeln, es wird nochmal gerechnet. Auch ein halber Preis kann zu viel sein. Und so landen der ein oder andere Whisky oder Cognac doch nicht auf dem Kassenband, sondern im Aufsteller mit löslichem Kaffee.

Der Schnäppchenjäger ist keine einheitliche Spezies. Es gibt den hitzigen Einpacker und den kühlen Rechner. Ein Mann hat einen Karton voll mit grünen Shampoo-Flaschen im Arm, da raubt ihm die Frau nebenan die Illusion, ein tolles Geschäft zu machen: „Bei Rossmann kosten die regulär nur 95 Cent.“ Sie selbst hat den Einkaufswagen gut bestückt, aber nicht überfüllt: „Man muss an so einem Tag aufpassen, nicht sinnloses Zeug zu kaufen.“

Ding dong, klingt es aus dem Lautsprecher, öffnet etwa irgendwo gleich eine weitere Kasse? Nein: „Ich brauche einen Preis“, lautet die Ansage. „Hälfte“, „Null“, „Gratis“ schallt es aus dem Laden. Die Stimmung ist erstaunlich fröhlich, trotz des irren Gedrängels, trotz der langen Warterei. Unter anderthalb Stunden kommt kaum jemand davon.

Es gibt halt nur drei Kassen, die Bänder sind kurz. Und draußen fehlen Parkplätze. Der Schlussverkauf zeigt noch einmal, warum Kaiser’s solche Probleme bekam. „Bei Aldi wäre so ein Auflauf kein großes Ding“, glaubt ein junger Mann im Jogginganzug. Ganz fair ist das nicht, denn heute rauschen die Waren im Aldi-Tempo über den Scanner, und an den Kassen stehen freundliche Mitarbeiter, die beim Einpacken helfen.

Um 19 Uhr ist der Laden immer noch voll, die Regale sind geplündert. Aber nicht restlos — erstaunlich, wie viele Waren so ein Supermarkt samt Lager fasst. Und deshalb geht der Wahnsinn an der Lindemannstraße heute früh um 8 in die Verlängerung.

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