Asperger-Syndrom - Wenn man Gefühl zählen kann

Hela Brehmer und Claudia Franck gründen eine Selbsthilfegruppe für die Eltern von autistischen Kindern.

Düsseldorf. Knapp drei Jahre alt war Niklas (Name von der Redaktion geändert), als seiner Mutter auffiel, dass er anders ist als andere Jungen. „Er hat sich oft zurückgezogen, war motorisch und sprachlich verzögert“, erinnert sich Claudia Franck. Was folgte, war eine lange Zeit der Ungewissheit. Was ist nur mit dem Jungen los?

Auch im Kindergarten zeigt das Kind Auffälligkeiten, im Alter von vier Jahren kommt die Diagnose „globale Entwicklungsverzögerung“. Aber die Mutter weiß immer noch nicht, was eigentlich los ist. Weitere zwei Jahre dauert es, bis sie Klarheit hat: Bei Niklas wird kurz vor der Einschulung das Asperger-Syndrom festgestellt — eine Form von Autismus. „Die Diagnose war eine Erleichterung, weil ich endlich wusste, wo es lang geht“, sagt Franck. Erschüttert habe sie der Befund nicht: „Ich gehöre nicht zu den Menschen, die lamentieren. Ich sehe das als Herausforderung.“

Die heute 47-Jährige, eine gelernte Geographin, handelt: „Ich habe mich an das Autismus-Therapiezentrum in Hilden gewandt. Deren Rat war, sich Hilfe zu holen. Es könne schwierig werden, wenn er allein zur Schule muss.“ Durch Vermittlung der Diakonie lernt sie Hela Brehmer kennen, eine Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie wird Niklas’ erste Integrationshelferin. Sie ist ab der ersten Schulstunde immer an seiner Seite, auch im Klassenzimmer. Sie hält sich im Hintergrund, aber kann eingreifen, wenn es nottut.

Der Anfang ist nicht einfach: „Das Asperger Syndrom ist eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung, mehr wusste ich nicht“, sagt die heute 63-Jährige. Sie liest sich in das Thema ein, nähert sich dem Jungen vorsichtig.

Der kommt auf die Montessori-Grundschule in Flingern. Seine größte Schwierigkeit ist es, sich im sozialen Kontext zu orientieren. Botschaften, die per Mimik und Gestik übermittelt werden, kann er nicht entschlüsseln. Und selbst nicht aussenden. Diese Andersartigkeit führte sogar dazu, dass er von einer Mitschülerin gemobbt wurde. Diese sprachlose Form der Kommunikation muss ihm ins Theoretische übersetzt werden, damit er sie lernen kann.

„Der Knackpunkt war für mich, dass ich konsequent bin. Niklas lernt am besten, wenn ich unmissverständlich klar mache: Wenn ich dies mache, passiert das. Am Anfang war es schwierig, ihn dazu zu bringen, dass er folgt. Aber mit der Zeit hat es geklappt. Die Methode war: streng, aber zugewandt“, erklärt Brehmer.

Niklas hat, wie viele andere Menschen mit Asperger-Syndrom, eine besondere Begabung, seine liegt im Bereich Mathematik. „Er hat eine emotionale Beziehung zu Zahlen. Gefühle werden in Zahlen ausgedrückt, bestimmte Zahlen haben auch klar zugeordnete Farben“, sagt seine Mutter. Und typisch ist auch, dass sich Niklas stundenlang in scheinbar stupide Beschäftigungen vertiefen kann.

Für Claudia Franck ist es eine schwierige Zeit: „Ich fand das alles lange sehr belastend, zumal ich alleinerziehend war.“ Ein Therapeut gibt ihr einen wichtigen Tipp: „Vergiss Deine eigenen Bedürfnisse nicht!“ Franck: „Das habe ich gemacht — und es hatte gute Auswirkungen. Indem ich mich anderem, etwa der Malerei oder der Musik zugewandt habe, hat sich Niklas geöffnet. Immer, wenn ich etwas angefangen habe, hat er es auch probiert.“

Die Entwicklung verläuft gut: Heute ist Niklas elf, er geht auf ein Gymnasium im Linksrheinischen. Auch dank des Einsatzes der Lehrerin ist er so gut in den Klassenverband integriert, dass Franck überlegt, den Einsatz der jetzigen Integrationshelferin auf zwei Tage in der Woche zu reduzieren. Auch Brehmer ist weiter eine wichtige Bezugsperson: Sie und Franck sind nicht nur gute Freundinnen, sie haben auch ein gemeinsames Projekt gestartet. Unter dem Namen „Farbenfroh“ bieten sie Seminare und Workshops (z.B. für Tanz, Bewegung) und Kulturfahrten, etwa zu Ausstellungen in der Region an.

Ihr nächstes gemeinsames Projekt ist eine Selbsthilfegruppe für Eltern autistischer Kinder in Düsseldorf. Franck: „Wir möchten anderen Menschen Mut machen. Die Situation kann belastend sein, aber es gibt Auswege.“

Was Niklas’ Zukunft angeht, ist sie optimistisch: „Er möchte Mathe studieren und Programmierer werden. Mir ist es wichtig, dass er ein eigenes, selbstständiges Leben führen kann. Sie sei zuversichtlich, dass dies gelingt: „Er schafft es, Lösungen für sich zu finden, statt sich nur zurückzuziehen. Das ist entscheidend.“

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