„Am Abend verschiebt sich die Gürtellinie ein wenig“

Der Rekommandeur sorgt mit seinen Sprüchen dafür, dass die Leute auf das Karussell aufmerksam werden und den Eintritt bezahlen. Aber man muss sich die Leute genau anschauen und auf jeden individuell eingehen.

„Am Abend verschiebt sich die Gürtellinie ein wenig“
Foto: Melanie Zanin

Ein bisschen traurig bin ich schon. Denn heute geht mein Praktikum auf der Kirmes zu Ende. Ich habe mit viel Freude Fischbrötchen gebacken, unter Schmerzen in der Schumacher Scheune Gläser geschleppt, mir die Finger beim Würstchen grillen bei Kebben verbrannt und mit viel Hingabe als die Geist die Menschen auf der Geisterbahn erschreckt. Heute versuche ich mich als, jetzt schmeiß ich mal mit einem Fachbegriff rum, als Rekommandeur. Man kann aber auch Ansager sagen. Seine Aufgabe ist es, die Menschen zu überzeugen, auf das Fahrgeschäft zu gehen.

Auf der Kirmes gibt es nämlich zwei Sorten von Menschen. Die Einen gehen von alleine auf jedes Karussell, die Anderen gucken nur. Die gilt es zu überzeugen, gerade auf diesem Fahrgeschäft sein Geld auszugeben. Und da man die Leute nicht auf das Karussell prügeln darf, muss man sich etwas anderes einfallen lassen. Am besten funktioniert das mit ein paar lockeren Sprüchen. Und auf der Kirmes gibt es dafür keinen besseren Lehrmeister als Eric Mahn-Möbius. Der 31-Jährige arbeitet seit sechs Jahren am Hangover. Das ist der Free-Fall-Tower, bei dem die Leute aus 85 Meter Höhe im freien Fall zu Boden stürzen. „Du musst immer ein bisschen mit der Angst der Besucher spielen, das ist besonders wichtig. Außerdem musst Du deine Show abziehen, wenn die Gondel ganz oben in der Luft hängt. Das ist nämlich der Moment, in dem die Leute stehen bleiben und gucken. Dann hast Du ihre Aufmerksamkeit.“

Es gibt natürlich jede Menge Standard-Sprüche. Besonders beliebt ist dieser, wenn die Leute ganz oben in der Luft hängen. „Sorry, aber das dauert jetzt noch ein bisschen, bis ihr nach unten kommt. Ich bin nämlich noch neu hier und kann die Gebrauchsanweisung gerade nicht finden.“

„Zwei Jahre habe ich gebraucht, bis ich alle Kniffe raus hatte“, meint Eric. Er spricht, bedient das Gerät und wählt die Musik aus. Wenn er ins Mikro spricht wird die Musik automatisch leiser. Eine sogenannte Talk-Over—Funktion.

Nun darf ich auch endlich ans das Mikrofon. Ich lass die Leute erst mal aus 45 Metern in die Tiefe stürzen und sie kommen ungefähr auf Augenhöhe zum stehen. „Dreh die Gondel nun und schau dir jeden Fahrgast genau an. Das ist die letzte Chance zu erkennen, ob einer nicht mehr klar kommt und dir signalisiert, dass er raus möchte, bevor es gleich auf 85 Meter Höhe geht“, erklärt Eric.

Ich folge den Anweisungen und schau mir alle Fahrgäste genau an. Die haben aber alle noch Spaß. Ich hab eigentlich ziemlich viel Muffe aber hin und wieder muss ich ja auch in meinem Job den Leuten was erzählen. Dass hilft mir gerade und so knöpf ich mir den ein oder anderen Fahrgast vor und lege ihm einen Besuch beim Friseur nahe. Eric ist begeistert: „Klasse, ich bin total überrascht. Du sprichst klar und deutlich ohne zu stottern.“

Es ist schon spannend, was die Leute so alles für Klamotten tragen. Das kann man als Ansager auch wunderbar kommentieren. Und auch die Chefin Christa Schneider hab ich überzeugt: „Eric und ich gehen jetzt Kaffee trinken, mach Du mal weiter, wir kommen später wieder.“ Ich protestiere lautstark - zu Glück mit Erfolg. So ganz ohne Hilfe will ich nicht sein. Am Nachmittag gibt es übrigens nur familientaugliche Sprüche. „Am Abend verschiebt sich die Gürtellinie ein bisschen“, grinst Eric.

Es ist ziemlich anstrengend, aber mir hat der Job auch sehr viel Spaß gemacht. Eric redet nach einer Kirmeswoche übrigens einen Tag gar nicht mehr. Aber wenn ich ehrlich bin, der Job in der Geisterbahn war sensationellste in der Kirmes-Woche. Aber knapp danach folgt schon der Job als Ansager.

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