Düsseldorf Alfred-Adler-Schule: Unterricht zwischen Visite und Chemo

100 junge Patienten erhalten zurzeit Unterricht in Krankenhäusern. Sie freuen sich auf ihre Lehrer, auf ein Stück Normalität.

Düsseldorf: Alfred-Adler-Schule: Unterricht zwischen Visite und Chemo
Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Sina freut sich auf die Unterrichtsstunde. Für die Siebenjährige steht ein Interview mit der Westdeutschen Zeitung auf dem Stundenplan. Besuch ist für das aufgeweckte Mädchen immer eine willkommene Abwechslung. „Die Schule hier ist cool“, sagt Sina, die froh ist, Lesen zu üben. Das braucht sie für die Spiele, mit denen sie sich die Zeit zwischen Behandlungen vertreibt. Seit neun Monaten liegt sie mit der Diagnose Krebs in der Uni-Klinik.

Sie erhält, wie 100 weitere junge Patienten, Unterricht von der Alfred-Adler-Schule, der städtischen Schule für Kranke. Die Lehrer betreuen an der Uni-Klinik derzeit 25 Schüler, 75 Schüler sind wegen psychischer oder psychosomatischer Erkrankungen in anderen Kliniken in Behandlung. Jeder Tag sieht anders aus, abhängig davon, wie es den oft schwerstkranken Patienten geht. Sie haben an der Uni-Klinik meist Einzelunterricht, direkt am Krankenbett. Gemeinsame Schulstunden sind nur schwer zu organisieren.

Wenn Martina Rauch, eine von fünf Lehrerinnen und Lehrern am Standort Uni, morgens kommt, schaut sie zunächst nach, ob Schüler von ihr verlegt worden sind. Dann zieht sie los, von Zimmer zu Zimmer. Ihr Rucksack ersetzt dabei das Klassenzimmer mit Material, das universal einsetzbar ist. Sie hat Sonderpädagogik studiert sowie Biologie und Geografie für die Sekundarstufe. An der Schule für Kranke spielt das nur bedingt eine Rolle. Hier unterrichten alle Lehrer alle Fächer und Schulformen. Sogar Klausuren und Abitur-Prüfungen sind in der Klinik möglich. „Das ist eine große Herausforderung und dadurch sehr spannend“, sagt Rauch. „In höheren Klassen bin ich mehr die Sekretärin der Schüler, die den Stoff mit ihren Klassenlehrern austauscht und sie begleitet.“

Als die WZ zu Besuch ist, gibt die Lehrerin die ersten drei Stunden Unterricht auf der Krebsstation, zuerst bei einer 13-jährigen Realschülerin, dann bei einem Drittklässler. Danach geht es zu Jan, der in der Oberstufe des Gymnasiums ist. Später, in der Station für Knochenmarktransplantation, arbeitet sie mit einer jungen Frau, die ein Berufskolleg besucht. Mit Jan paukt sie vor allem Spanisch. „Das brauche ich, denn das kann ich nicht so gut“, sagt der 17-Jährige. Doch derzeit geht nicht viel. Jan ist sehr erschöpft von der Chemo. Daher ändert Rauch das Thema, und die beiden befassen sich mit seiner Berufswahl. „Am liebsten würde ich etwas Handwerkliches machen, zum Beispiel mit Holz“, erzählt er.

Auf die aktuelle Situation einzugehen, ist an der Schule für Kranke das große Stichwort. Behandlungen gehen vor, manchmal steht in der Unterrichtszeit eine Visite an. Auch bei Jan klopft eine Krankenschwester an und bespricht kurz, was in den nächsten Minuten und Stunden vorgesehen ist.

Für den Teenager sind die Stunden mit der Lehrerin ein Höhepunkt des Tages. Denn er darf das Zimmer nicht verlassen, viel Besuch kann er derzeit auch nicht empfangen. „Der Unterricht tut gut gegen die Langeweile“, sagt er.

Den Patienten schöne Momente zu ermöglichen, spielt für die Lehrer eine besonders große Rolle. „Es geht nicht nur um die Inhalte. Das Leben der Schüler steht Kopf, durch ihre Krankheit sind sie stark eingeschränkt. Erfolgserlebnisse sind daher unglaublich wichtig. Oder auch Angebote, wie Rollenspiele, bei denen sie lachen, aber auch mal weinen können. Schule und Unterricht an sich vermittelt dabei auch ein Stück Normalität, ein Stück Alltag — das gibt Halt.“

Der Alltag ist es auch, den sich Sina wieder wünscht. Wieder mehr erleben als Behandlungen, Spiele, Fernsehen. „Ich freue mich, bald wieder in die richtige Schule zu kommen. Ich vermisse meine Freunde, vor allem meine allerbeste Freundin. Sie werde ich dort alle wiedersehen.“

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