Abschiedsfahrt nach 56 Jahren: Jetzt ist „die Gelbe“ ein Mythos

Abschied mit Nostalgie: Zum letzten Mal ist eine Bahn vom legendären Typ GT6/GT8 im Liniendienst gefahren.

Düsseldorf. Letzte Station Südfriedhof. Mit genau acht Minuten Verspätung erreicht am Dienstag um 10.51 Uhr die letzte gelbe Straßenbahn im Liniendienst die Endhaltestelle. Von den Fahrgästen nimmt das keiner krumm, was sind acht Minuten im Verhältnis zu 56 Jahren?

So lange ist es her, dass der erste Zug dieses Typs ausgeliefert wurde. Seither haben „die Gelben“ das Stadtbild geprägt. Mehrere Dutzend Menschen sind bei der finalen Tour dabei und nehmen Abschied von einem Mythos.

So wie Josef Sonntag. Der 78-Jährige steht in der Gleisschleife am Südfriedhof und wartet auf die Ankunft der Bahn, um Fotos zu machen. 1948 fing er bei der Rheinbahn an, machte dort seine Lehre, bevor er zu den Stadtwerken ging. „Als die neuen Züge damals kamen, war das etwas Besonderes, die waren supermodern.“ Auch Manfred Klösters (67) wartet auf die Einfahrt des Klassikers: „Man ist ja mit diesen Fahrzeugen groß geworden, das ist ein Stück Stadtgeschichte.“

Die meisten Nostalgiker sitzen freilich in der Bahn, darunter auch Martin Heilmann (34), er ist extra aus Marl angereist. Zweimal ist er mit der 704 an diesem Morgen zwischen den Endhaltestellen hin- und hergefahren, nur um des Fahrgefühls wegen: „Die Wagen fahren ganz anders, das ist stabile Technik, die funktioniert.“

Als der erste Wagen vom Typ GT6 (Gelenk-Triebwagen, sechs Achsen) am 10. Februar 1956 an die Rheinbahn ausgeliefert wird, ist das neue Fahrzeug eine kleine Sensation: Es ist der weltweit erste Großraumwagen mit Drehgelenk. Entwickelt vom Hersteller Düwag (Düsseldorf-Uerdinger Waggonbaufabrik) unter tatkräftiger Mithilfe der Rheinbahn, die an Konzept und Konstruktion beteiligt war.

157 sechs- und achtachsige Züge kommen bis 1969 in Düsseldorf auf die Schiene. Viele Menschen verbinden mit ihnen Kindheitserinnerungen. „Ich bin mit diesen Bahnen groß geworden“, sagt Ellen Schlepphorst. „Davor gab es noch die alten Holzwagen mit Perron, die neuen sahen dagegen futuristisch aus“, erinnert sich die 59-Jährige, die aus der WZ von der Abschiedstour erfahren hatte. Die Fahrt machte sie voller Wehmut mit: „Da geht schon wieder ein Stück Kindheit verloren.“

Die Züge waren weltweit ein Exportschlager: In mehr als 20 deutschen sowie in sieben europäischen Städten waren die in Düsseldorf entwickelten Bahnen unterwegs. Bis 1975 wurden 1274 Exemplare gebaut — bis heute ist dieses Fahrzeug der meistgebaute Straßenbahntyp Westeuropas.

Dass die Geschichte der Bahnen nicht in Vergessenheit gerät, dafür sorgt Julian Zimmermann: Der 16-Jährige ist Mitglied von Linie D, dem Verein für Straßenbahngeschichte. Rund 22 000 Fotos hat der 16-Jährige seit 2008 von den alten Zügen gemacht, ist regelrecht auf Jagd gegangen.

„Für mein Hobby ist das ein echter Rückschlag. Die neuen Bahnen mag ich nicht fotografieren“, sagt er. Wegen Abi-Prüfungen an seiner Schule konnte er bei der letzten Tour dabei sein. Und die hat er in vollen Zügen genossen: „In den neuen Bahnen fliegt man in den Kurven aus den Sitzen, die alten haben andere Drehgestelle und laufen ruhiger.“

Wehmütig ist auch Fahrer Carsten Suhr. Der 44-Jährige hat die Bahn mit Blumen und Fahnen geschmückt. Jetzt, da die letzte Fahrt absolviert ist, ist er traurig: „Ich lebe von mit und für die Bahn. Wenn man jeden Tag acht Stunden drin sitzt, hat man schon eine besondere Beziehung zu den Fahrzeugen“, sagt er. Und: „Das sind meine Schätzchen gewesen, ich habe mich von jeder mit einem Klaps verabschiedet.“

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