„Und dann kamen sie doch“: Die Pogromnacht vor 72 Jahren

Im Rathaus wurden Erinnerungen der aus den USA zurückgekehrten Margot Goldberg lebendig.

Düsseldorf. Nein, die Gedenkveranstaltung der Stadt zur Pogromnacht 1938 ist nach wie vor kein bloßes Erinnerungsritual. Sondern ein sehr eindrucksvolles und lebendiges Stück Erinnerung und Auseinandersetzung mit dem weithin sichtbaren Beginn der Verfolgung und Ermordung der Juden - auch in Düsseldorf.

Oberbürgermeister Dirk Elbers hatte hochrangige Repräsentanten aus Politik und Religion im Rathaus zu Gast: Sylvia Löhrmann, die Vize-Ministerpräsidentin, Landtagspräsident Eckhard Uhlenberg oder Jacques Abramowicz, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Doch alle Redner begrüßten als erstes Margot Goldberg. Die 84-jährige Dame war mit ihren beiden Töchtern extra aus Kalifornien in ihre Geburtsstadt zurückgekommen.

Sie hat die schreckliche Nacht des 9. Novembers 1938 in ihrem Elternhaus an der Graf-Recke-Straße erlebt, OB Elbers rekapitulierte in seiner berührenden Ansprache ihre "bitteren Erinnerungen": "Es fand sich zunächst niemand unter den Nazis, der in unser Haus kam, weil wir in Düsseldorf eine sehr angesehene Familie waren. Und dann kamen sie doch..."

Elbers dankte Margot Goldberg für den Mut und die Kraft, sich dieser Vergangenheit zu stellen und dafür, dass sie ihre Erlebnisse auch Schülern des Leibniz-Gymnasiums schilderte. Ihre Eltern Änne und Artur Cohen betrieben ein Unternehmen zur Herstellung von Metzgerei-Zubehör an der Rather Straße, gleich neben dem Schlachthof. Artur war deutscher Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg gewesen und - so Elbers - "ein patriotischer Düsseldorfer und Deutscher".

Trotzdem wurde er im November 1941 vom Schlachthof weg ins Ghetto Litzmannstadt (Lodz) deportiert und ebenso wie Änne 1942 ermordet. Margot und ihr Bruder waren da längst in Sicherheit, die Eltern hatten sie 1939 nach England geschickt.

Vier Leibniz-Schüler berichteten im Rathaus von ihrer Begegnung mit Margot Goldberg: "Ihre Erzählung war sehr beklemmend und hat uns schockiert. Für uns bleibt weiter unbegreiflich, wie so etwas hier passieren konnte", sagte eine.

An ein anderes Einzelschicksal erinnerte Sylvia Löhrmann, indem sie aus dem Bericht von Ilse Neuberger über den Überfall auf das Haus der Fleischhackers in Flingern zitierte: Das Atelier des Künstlers Leopold Fleischhacker wurde zerstört, außerdem zerschmetterten die Nazis die Violine seiner Frau Lotte, einer begabten Geigerin: "Ihre Musik starb in dieser Nacht, sie konnte nie wieder eine Geige anrühren", heißt es bei Ilse Neuberger.

Am Dienstag im Rathaus eröffnete und beendete Musik den Gedenktag. Jakov Zotov, der 14-jährige Schüler und Pianist, tat das überaus imposant. Mit Tschaikowsky und Chopin.

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