„Ich lasse es nicht an mich heran“

Heiko Schleuten erlebt viele Unglücke und Suizide mit.

Düsseldorf. Er wusste gleich, was ihn erwartete. "Der Triebfahrzeugführer hat eine Person auf den Gleisen gesehen. Der Zug hat sie erfasst", hieß es am 19. Januar gegen Mittag über Funk von der Leitstelle. Bundespolizist Heiko Schleuten (Name geändert) warf das Blaulicht an und raste durch die Stadt. Zum Benrather Bahnhof. Wie sich später herausstellen sollte, hatte sich ein 16-jähriger Schüler das Leben genommen. Ein durchfahrender ICE hatte ihn mit 160 km/h getroffen.

Es ist ein Einsatz, wie Heiko Schleuten sie zigfach erlebt hat. Der 42-Jährige ist seit 23 Jahren bei der Bundespolizei, seit 1991 in Düsseldorf. "So 20 oder 30" Leichen hat er seither wohl gesehen. "Vielleicht auch 40", sagt er. Menschen, die nicht mehr leben wollten. Und Menschen, die nur eine Abkürzung über die Gleise nahmen. Tragisch in jedem Fall.

Aber darüber denkt Heiko Schleuten nicht nach, wenn er wie am 19. Januar zum Einsatzort fährt. Auch nicht an das Bild, das sich ihm bieten wird - und das immer auf gleiche Weise schrecklich ist. Er legt sich im Kopf zurecht, was es abzuarbeiten, zu erledigen gilt. Auch weil er weiß, dass er dabei immer wieder mal allein ist. "Es kommt schon vor, dass sich ein Kollege übergeben muss." Er lächelt milde. "Da muss man Verständnis haben. Wir sind alle nur Menschen."

Verständnis, das Heiko Schleuten für sich nicht in Anspruch nimmt. Noch nie hat er nach einem Einsatz wie im Januar das Gespräch mit einem Seelsorger gesucht. Höchstens bei seiner Freundin und beim Sport lädt er mal etwas von der Last ab. Vor allem aber versucht er, Einsatzorte zu sehen; nicht die tragische Geschichte, die ihn zu einem gemacht hat. "Über die Beweggründe erfahren wir nach einem Suizid ohnehin nichts", sagt er.

Er muss den Totenschein vom Notarzt nur an die Kripo übergeben, die übernimmt es, Angehörige zu benachrichtigen. Scheuten ist das ganz lieb. "Ich lasse es nicht an mich heran. Ich denke, so schütze ich mich am besten." Ein Schutzpanzer, von dem der 42-Jährige selbst nicht weiß, ob er ewig halten wird: "Ich hatte noch keine Kinder dabei. Vielleicht wäre das etwas anderes..."

Ärger, den allerdings kennt Heiko Schleuten von seinem Beruf. Ärger über Teenies, die sich nachts im Hauptbahnhof betrunken daneben benehmen und auch noch die Polizisten angreifen, wenn die einen Streit schlichten wollen. "Sie treten und schlagen - das kommt vor", sagt der Beamte. "Aber wer dem nicht gewachsen ist, sollte andere Wege einschlagen."

Anders als viele seiner Kollegen will er auch nach zwei Jahrzehnten im Job nicht in den ruhigeren Ermittlungsdienst wechseln. "Ich bin lieber auf der Straße, an der Front. Ich habe das Gefühl, da in meinem kleinen Feld etwas zu schaffen." Entspannung in einem Konflikt, Sicherheit vor Taschendieben. Und manchmal eben hinzuschauen, wo andere sich angewidert und erschrocken abwenden.

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