Burscheid Weltmädchentag: Mehr Selbstbewusstsein für Mädchen

Der Weltmädchentag am Dienstag will den Blick auf die Benachteiligungen von Mädchen lenken. Von Burscheid bis zum Jemen sind die sehr unterschiedlich.

Burscheid: Weltmädchentag: Mehr Selbstbewusstsein für Mädchen
Foto: Siewert

Burscheid. Ein Mädchen in dieser Welt zu sein ist nicht immer ein Kinderspiel. Von den Mädchen, die eigentlich im Schulalter sind, erhalten 61 Millionen keine Bildung. Dafür arbeiten weltweit Mädchen zwischen fünf und 14 Jahren pro Tag 550 Millionen Stunden im Haushalt, das geht aus Zahlen der Unicef hervor. Auf die Benachteiligungen von Mädchen aufgrund ihres Geschlechts wollen die Vereinten Nationen weltweit aufmerksam machen. Heute ist Weltmädchentag.

Ein Mädchen in Burscheid zu sein bringt andere Probleme mit sich. All die Vorteile des Aufwachsens in einer Industrination außer Acht gelassen: Mädchen müssen einiges dafür tun, um sich gegen ihre männlichen Gleichaltrigen durchzusetzen. Im Jugendzentrum Megafon gibt es neuerdings einen eigenen Mädchenraum, zu dem auch nur Mädchen Zutritt haben. „Wir haben hier deutlich mehr Jungs als Mädchen. Und die Mädchen lassen sich von den lauten, hormongebeutelten Jungs einfach vertreiben, wenn man ihnen keinen Rückzugsort gibt“, erklärt Marc Munz, der Leiter der Einrichtung. „Die Mädchen müssen für sich sein können und selber entscheiden dürfen, wann sie Jungs sehen wollen, und wann nicht.“

Mädchen zu ärgern scheint eine der größten Freuden heranwachsender Männer zu sein. Dahinter verbergen sich wohl etwas plumpe Annäherungsversuche, dennoch fühlen sich viele Mädchen dadurch sehr gestört. Im Gespräch mit der Film-Gruppe zu dem Projekt „Megapol“, dessen neueste Folge jetzt am Wochenende gedreht wurde, zeigt sich: Die zehn bis 14-jährigen Mädchen fühlen sich in vielen Punkten benachteiligt. Einfach, weil sie Mädchen sind. „Immer sagen die Jungs, dass Mädchen nicht rechnen können“, sagt die zehnjährige Hanna. „Und sie nehmen uns Sachen weg und kicken die dann durch die Gegend.“ Nina, 13 Jahre alt, weiß zu berichten: „Fast kein Mädchen hat in meiner Klasse Lust, beim Sportunterricht mitzumachen. Die Jungs rennen einen eh nur um und sagen, dass Mädchen ja nichts können.“

Marc Munz beobachtet aber auch das Phänomen, dass viele Mädchen sich ihren vorgegeben Rollen fügen. „Viele Mädchen kokettieren auch damit, dass sie nicht rechnen können. Ich sage dann immer: Würdest du es etwa auch cool finden, wenn jemand sagt, hach ja, ich kann einfach nicht lesen und schreiben?“ Die Grundlagen der Mathematik könne jeder lernen, so Munz. Sie seien auch wichtig für das spätere Leben. „Ohne meine Frau, um das Klischee mal zu sprengen, hätte ich mein Mathe-Abi niemals gepackt“, fügt Munz hinzu.

Ab November soll es pro Woche einen reinen Mädchentag in dem Jugendzentrum geben, wo sonst täglich über 70 Besucher zwischen acht und 21 Jahren aufeinandertreffen. „Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen sind völlig in Ordnung. Grundsätzlich bleiben halt mehr Jungs an Baustellen stehen und mehr Mädchen vor dem Puppenwagen“, so Munz. „Unsere Aufgabe besteht aber darin, aus diesen Unterschieden keine Vorurteile werden zu lassen, aus denen sich dann starre Rollenbilder entwickeln.“

Ein Mädchen in der Welt zu sein bedeutet auch, dass jedes Jahr drei Millionen von ihnen von Genitalverstümmelungen bedroht sind, besonders im Jemen und im Senegal. 750 Millionen Frauen waren schon vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, jedes zehnte Mädchen bis 20 Jahre hat schon sexuelle Gewalt erfahren.

Was ein Mädchen in Burscheid aushalten muss, weiß der Sexualpädagoge Floris Bottinga von Pro Familia. Er berät mit seinem Team Schulklassen im Rheinisch-Bergischen Kreis beim Thema Aufklärung. „Viele Jugendliche haben durch den freien Zugang zu pornografischen Inhalten im Netz einen völlig verdrehten Blick auf das Thema. Jungs erwarten zu viel, Mädchen glauben, sie müssten einem gewissen, sagen wir, gymnastischen Bild gerecht werden.“ Für Vertrauen und Nähe sei da kein Platz.

„Gerade, wenn es Druck aus der Clique gibt, möglichst früh viel Erfahrung zu haben, kommen die eigenen Bedürfnisse viel zu kurz.“ In manchen Cliquen gebe es regelrechte Macho-Könige, bei denen die Mädchen dann herumgereicht werden. „Das ist dann ein Stich ins Herz der Emanzipation.“ Bottingas Job sei es, die Mädchen darin zu bekräftigen, zu wissen und zu sagen, was sie wollen — und was nicht.

„Wirklich katastrophal ist aber oft der Stand, auf dem die Mädchen in Sachen Aufklärung hier sind. Welchen Ammenmärchen manche aufsitzen, ist fatal“, findet Bottinga. Und wo zu wenig Wissen über Grundlegendes vorhanden sei, könne sich auch kein Selbstbewusstsein entwickeln. Wenig überraschend ist dabei, dass der Stand der Aufklärung mit dem sozialen Milieu zusammenhängt. „Da müssen wir ansetzen.“

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