Burscheid Vergessenes Buch schafft eine grenzenlose Freundschaft

Eva Lüdorf pflegte eine Brieffreundschaft mit einer Kanadierin. Zehn Jahre hörte sie nichts mehr, bis eines Tages das Telefon klingelte.

Eva Lüdorf freut sich über die Grußkarten aus Kanada. Ihre neuen Brieffreunde hatten die Burscheiderin über das Gemeindeamt gesucht.

Eva Lüdorf freut sich über die Grußkarten aus Kanada. Ihre neuen Brieffreunde hatten die Burscheiderin über das Gemeindeamt gesucht.

Foto: Doro Siewert

Burscheid. Bücher haben ihre eigenen Schicksale. Nie hätte Eva Lüdorf es für möglich gehalten, dass dieses lateinische Sprichwort einmal so einen großen Einfluss auf ihr Leben haben würde. Ein Buch, das sie vor fünf Jahren auf die Reise geschickt hatte, brachte ihr — obwohl es längst vergessen war — neue Bekanntschaften ein.

Der Roman „Ambra“ von Sabrina Janesch war für Ruth Arnold bestimmt. Eva Lüdorf hat ihre Freundin nie gesehen, über Briefe hielten die Frauen Kontakt. Ruth Arnold, mit jüdischen Wurzeln und aus Danzig stammend, wanderte nach Kanada aus. An den Erinnerungen an ihrer Kindheit in Deutschland hielt sie fest, sie bat Eva Lüdorf darum, ihr auf Deutsch zu schreiben und ihr Bücher zu schicken. „Ich habe ihr erzählt, wie es in Burscheid ist, was die Stadt ausmacht und was hier so passiert“, erzählt Eva Lüdorf. 1988 fing es an mit der Brieffreundschaft. Die Verbindung entstand über eine Verwandte Ruth Arnolds. Regelmäßig schrieben sich die Seniorinnen, bis irgendwann nichts mehr nach Burscheid zurückkam. Eva Lüdorf blieb dabei. Sie schickte weiter fleißig Grußkarten zum Geburtstag. Sie wusste ja nicht, was mit Ruth Arnold geschehen war.

Die Antwort kam unverhofft. Eines Vormittags im Oktober meldete sich das evangelische Gemeindeamt bei Eva Lüdorf. Ob sie Bekannte in Kanada hätte, lautete die Frage. Ein Mann hätte sich gemeldet und nach ihr gefragt. Ganz in Aufruhr versetzt, wählte Eva Lüdorf die Nummer, die ihr das Gemeindeamt durchgab. Erst war Eva Lüdorf misstrauisch, schließlich ist immer wieder von Betrügern zu hören, die den sogenannten Enkeltrick anwenden, um Senioren zu berauben. Die Burscheiderin hat keine Kinder, die 93-Jährige lebt allein im Haus ihrer Eltern in der Innenstadt. Eva Lüdorf ist vorsichtig.

Und doch rief sie zurück. Sie wählte die kanadische Telefonnummer. Der Mann, ein Bayer, der in Kanada in der Forschung tätig ist, ging dran und erzählte ihr, wie er auf sie gekommen war. „Die Ärztefamilie hatte beim Spazierengehen mein Buch Ambra in einer Bücherbox in Montreal gefunden. Darin stand die Widmung, die ich für Ruth zum Geburtstag geschrieben hatte“, erzählt Eva Lüdorf. „Sie sagten mir, sie würden Ruth für mich suchen.“ Und sie taten es wirklich. Das Ehepaar machte Ruth Arnold in einem Heim für sehbehinderte Senioren ausfindig. 106 Jahre ist sie bereits. Ihre Sehkraft hatte empfindlich nachgelassen, sie konnte nicht mehr zurückschreiben, geschweige denn die Bücher lesen, die ihre Freundin aus Burscheid ihr zuschickte. Kurzerhand bat sie ihren Pfleger darum, die Bücher in eine öffentliche Box zu stellen, aus der sich jeder Bürger bedienen kann. So fand das Buch seinen Weg zurück in die Erinnerung von Eva Lüdorf. „Das Paar aus Bayern hat mir geschrieben, dass sie es gut aufbewahren werden.“ Mit ihnen ist die Burscheiderin fortan in Kontakt. Sie hat eine neue Brieffreundschaft gefunden, die sie auch auf den Laufenden hält, wie es denn Ruth Arnold geht. Sie kann sich mittlerweile nicht mehr an die geteilte Lebensgeschichte erinnern. Sie weiß nichts mehr von der Burscheiderin, die ihr zum Geburtstag dieses eine Buch geschickt hat.

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