Theater haucht Luther Leben ein

Im Megafon wurde der „Fall Luther“ verhandelt. Das Publikum war begeistert. Das Ensemble hat auch die kritischen Stellen nicht ausgelassen.

Theater haucht Luther Leben ein
Foto: Vera Leweke

Burscheid. Diplomatisch war er nicht - der Mönch und Theologieprofessor Dr. Martinus Luther. Dafür umso leidenschaftlicher unterwegs im Auftrag seines höchsten Herrn. Wie sehr sein Weg außer den weltbewegenden Erfolgen auch von Leiden seelischer und körperlicher Art geprägt war, erlebten die Besucher im Megafon in einer ungewohnt brisanten Form mit. Für den Samstagabend nach dem großen Reformationsabschluss wurde das Experiment des Kulturvereins zu einem Ereignis der besonderen Art. Das Ensemble der Landesbühne Rheinland-Pfalz im Schlosstheater Neuwied stellte sich diesmal mit einer für Burscheid noch ungewohnten Inszenierung vor. Seit der Premiere im August dieses Jahres gaben sieben Darstellerinnen und Darsteller den Figuren aus dem 16. Jahrhundert blutvolles, bis ins Detail glaubhaftes Leben. Insgesamt 55 Mal standen sie auf Bühnen in NRW und hatten Burscheid als vorletzte Station terminiert.

Jürgen Clemens, Hauptdarsteller

Noch variabler als das spartanische Bühnenbild waren die vielen verschiedenen Rollen, in die die Mitwirkenden hineinschlüpften. So war Josef Hofmann — in prägnantem Kostümen — sowohl Ankläger, Luthers Vater, sterbender Mann, Bauer und vornehmer „Spalatin“. Ebenfalls in jeweils fünf sehr unterschiedliche Charaktere verwandelten sich Karl-Heinz Dickmann und Konstantin Hertel. Als Frau von Helfenstein, als Bäuerin, Bürgersfrau und als Katharina von Bora begegnete Juliane Ledwoch „ihrem“ Luther. Dominique M. Güttes wechselte als „Wirtin“ und überfallene „Grete“ eindrücklich ihre Emotionen. Als Kämpfer für die „Frohe Botschaft“ - das Eu-Angelion - wuchs Hauptdarsteller Jürgen Clemens in jeder Szene mehr und mehr in die Person des Protagonisten hinein. Im tiefsten überzeugt von seinem Auftrag musste der Reformator auch seine eigenen menschlichen Lücken erkennen und die schlimmen Auswüchse seiner deftigen Aussprüche mit ansehen und erleiden. Felix Höfner als nüchterner, ordnungshaltender Richter gab der fiktiven, manchmal traumdurchsetzten Verhandlung gegen Luther eine ruhige Linie.

Was den meisten Zuschauern in Saal noch aus Schulzeiten in Erinnerung sein mochte über den Reformator aus Wittenberg, bekam durch die Aufführung des Schauspiels eine ehrlich geäußerte breitere Dimension. Babette Schluck und ihre Freundin waren bereits in der Pause von dem Mut begeistert, ein derart dramatisches Stück ins Abo-Programm zu nehmen. „Was ich über Luther wusste, war recht lückenhaft. Dass er damals mit seinen Erkenntnissen ständig in einer derartigen Todesgefahr stand, war mir nicht bewusst.“ Das Publikum würdigte den Mut mit Standing Ovations.

Nach den Grundlagen des Schauspiels befragt erklärte Jürgen Clemens: „Es gab eine Vorlage, die bereits in den 80er Jahren bekannt war. Unser Theater erarbeitete die Handlung nach dem Schauspiel von Karlheinz Komm. Es war überlegt, die heftigsten Streitpunkte betreffs Antisemitimus und Fremdenhass aus den historischen Sätzen von Luther nicht ins Konzept einzubinden. Wir entschlossen uns aber, diese strittigen Sätze nicht zu unterschlagen.“

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